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So haben Energiekonzerne von Krieg und Inflation profitiert

Unter der Inflation haben viele Menschen gelitten. Andere fuhren große Profite ein, erklärt Gregor Semieniuk im Interview.

8 Minuten Lesedauer

Energiekonzerne haben in Krisenzeiten hohe Gewinne machen können. Collage: Surplus, Material: IMAGO/Westlight/SNA

Gregor Semieniuk ist Associate Professor an der School of Public Policy und dem Department of Economics der University of Massachusetts Amherst. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der politischen Ökonomie des Strukturwandels. Sein neuester Beitrag für die Fachzeitschrift Energy Research & Social Science, unter anderem mit Surplus-Herausgeberin Isabella Weber und Benjamin Braun verfasst, geht der Frage nach, wer in den USA von der fossilen Inflation profitiert hat, die im Jahr 2022 ihren Höhepunkt erreichte. Im Interview mit Surplus erklärt er, wieso Inflation nicht nur alles teurer macht, sondern auch Umverteilung von unten nach oben bedeutet.

Max Hauser: Die Inflation von 2021 bis 2023 hat viele Menschen belastet. Die Kaufkraftverluste sind bis heute nicht ausgeglichen. Was waren die Ursachen dieser Inflation?

Gregor Semieniuk: Wichtig waren bei dieser Inflation die erhöhten Kosten in der Produktion und im Import von Gütern – eine sogenannte Kostendruckinflation. Um gleich auf Öl und Gas zu kommen: Infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine fielen die Importe des kostengünstigen russischen Gases in die EU um circa 75 Prozent – und wurden durch teurere Flüssiggasimporte ersetzt. Direkte Ölimporte aus Russland fielen noch stärker und der Rohölpreis verdoppelte sich zeitweise, dazu kam noch ein schwacher Euro. Neben dieser direkten Verteuerung wirken höhere Energiepreise indirekt preistreibend, etwa wenn die Herstellung von Dünger teurer wird, der zur Produktion von Lebensmitteln benötigt wird. 

Es gab aber auch schon davor erhebliche Lieferengpässe. Vor vielen Häfen stauten sich die Schiffe, da es wegen pandemischer Einschränkungen Personalmängel und Koordinierungsschwierigkeiten gab. Mehr als ein Drittel aller Frachtschiffe weltweit transportiert fossile Energieträger.

Viele Ökonomen würden hinzufügen, dass auch die gestiegene Kaufkraft von Konsumenten infolge von Pandemiehilfen zur Inflation beitrug. Das ist nicht falsch, aber die Kostendruckinflation war viel wichtiger – gerade in der EU trug sie mehr als drei Viertel der Inflation bei und die wichtigsten Produktgruppen waren Energie und Nahrungsmittel. 

Wie konnten Energiekonzerne vom Ausbruch des russischen Kriegs in der Ukraine profitieren?

Zunächst hatten die Produzenten fossiler Energieträger schon 2021 gute Profite eingefahren, weil die Preise für Öl und Gas bereits in dem Jahr angestiegen waren, insbesondere im letzten Quartal. Das lag an den soeben genannten Lieferketten-Problemen sowie an der nur langsamen Wiederaufnahme von Produktion und Raffinierung von Rohöl nach den pandemischen Einschränkungen. Anekdotisch wissen wir, dass die Energieunternehmen es nicht eilig hatten, die Produktion und somit das Angebot hochzufahren, um den Preisdruck zu vermindern. Das Angebot hinkte der Nachfrage also bereits 2021 hinterher. 

Anders als für die meisten Güter, für die Unternehmen Preise setzen, sind für Rohstoffe die einfachen Angebots- und Nachfragemodelle, die man in der Einführungsveranstaltung für Volkswirtschaftslehre kennenlernt, tatsächlich eine treffende Darstellung. An den Rohstoffbörsen der Welt werden jeden Tag Angebot und Nachfrage verglichen und der Preis steigt beziehungsweise sinkt, bis keiner mehr verkaufen beziehungsweise kaufen möchte. Ein Beispiel dafür ist der Brent Crude Index, der den Preis für die Mehrheit des international gehandelten Rohöls setzt. Ende 2021 gab es mehr Käufer als Verkäufer – und der Preis stieg. Der Krieg in der Ukraine befeuerte das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage weiter. Außerdem trieb die Unsicherheit über noch stärkere Angebotsverknappung infolge von Sanktionen und Zerstörung von Transportinfrastruktur die Preise. Es war auf einmal eine echte Knappheit, aber Öl und Gas waren noch immer genauso teuer zu fördern wie vorher. Der Profit pro Einheit Energie stieg also.

Die Europäer setzten alles daran, russische Importe mit anderen Quellen zu ersetzen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran, wie Wirtschaftsminister Habeck und Kanzler Scholz zu Energieexporteuren im Nahen Osten und Afrika reisten, um sicherzustellen, dass sie – für entsprechende Preise – Flüssiggas und Öl nach Deutschland exportierten. Da konnten Entwicklungsländer nicht mehr mitbieten. Vertraglich festgelegte Flüssiggaslieferungen an Pakistan zum Beispiel wurden kurzfristig nach Europa umgeleitet. Mit dem hohen Preis, den die Europäer zahlten, konnten die Rohstoffhändler die vergleichsweise moderate Vertragsstrafe an Pakistan leicht bezahlen und immer noch einen großen Gewinn einfahren. Die Folgen: Stromausfall in Pakistan, Inflation in Europa. 

Wie viel Profit hat die Industrie in dieser Phase gemacht, und können Sie diese Zahl kontextualisieren?

Dazu haben wir uns in einer neuen Studie die Firmenergebnisse der integrierten Öl- und Gaskonzerne angeschaut. Integriert bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sie im Grunde alle Wertschöpfungsstufen von der Förderung bis zum Endkunden beherrschen. Das sind die westlichen Konzerne, wie Shell, BP, TotalEnergies oder ExxonMobil, aber auch Saudi Aramco und die China National Petroleum Corporation. Wir kommen global für das Jahr 2022 auf einen Nettoprofit von circa 900 Milliarden US-Dollar für alle an der Börse gelisteten Unternehmen. Das ist der Profit nach Steuern und Zinsen, also das, worüber das Unternehmen frei verfügen kann, ob es diese Mittel reinvestiert oder an Anteilseigner ausschüttet. So hoch waren die Öl- und Gasprofite noch nie, auch nicht während der letzten Finanzkrise von 2008, die aufgrund des hohen Ölpreises auch eine Energiekrise war. Nach unseren Erkenntnissen liegt die Aufteilung der Profite zwischen Reinvestitionen und Ausschüttungen ungefähr 50/50. 

Sie haben in der Studie nicht nur die Menge der Profite untersucht, sondern auch ihre Verteilung über verschiedene Bevölkerungsgruppen in den USA. Wie haben Sie die Verbindung zwischen Unternehmensbilanzen und Privatpersonen gezogen?

Es ist besonders bedeutsam, die US-Profite zu analysieren, weil die Gewinne in den USA am stärksten gestiegen sind, wodurch ein Drittel der globalen Gewinne in Höhe von 900 Milliarden US-Dollar an US-amerikanische Personen floss. Wir konnten das untersuchen, weil es Meldepflichten bei den Finanzaufsichtsbehörden gibt, etwa wenn ein Anleger mehr als einen bestimmten Anteil eines Unternehmens besitzt. Diese Unternehmensbeteiligungen werden in kommerziellen Datenbanken gelistet, die wir ausgewertet haben. Wenn man tief genug schürft, kommt man am Ende einer langen Kette von Beteiligungen, Holdings oder Fonds immer auf eine natürliche Person – oder eine Regierung. Das Unternehmen an sich ist nur eine juristische Hülle, dahinter stecken Menschen oder Staaten. Zudem gibt es für die USA gute Daten zur Verteilung von Aktienbesitz über Bevölkerungsgruppen, bereitgestellt von der Zentralbank, der Fed. Das ist ein weiterer Grund für unseren Fokus auf die USA, denn dort kann man diese Studie mit öffentlich verfügbaren Daten durchführen. 

Und wer hat konkret von diesen Profiten profitiert? 

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Max Hauser

Max Hauser ist Politökonom und Redakteur bei Surplus. Er hat Volkswirtschaftslehre in Berlin, Rom und Paris studiert.

Gregor Semieniuk

Gregor Semieniuk ist Associate Professor an der School of Public Policy und dem Department of Economics der University of Massachusetts Amherst. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der politischen Ökonomie des Strukturwandels.

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