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Das Wirtschaftsmagazin

»Dann droht tarifpolitischer Häuserkampf«

Zu faul, zu teuer, zu krank, zu unflexibel – wir erleben derzeit »Angriffswellen« der Arbeitgebervertreter, meint die DGB-Chefin Yasmin Fahimi.

7 Minuten Lesedauer
Credit: Helia Jafarzadeh

Lukas Scholle: Leisten die Beschäftigten in Deutschland zu wenig Arbeitsstunden, Frau Fahimi?

Yasmin Fahimi: Nein. Wir hatten im Jahr 2024 ein Rekordhoch von 61 Milliarden Arbeitsstunden. Insofern gibt es keinen Anlass zu jammern und den Beschäftigten in Deutschland zu unterstellen, sie seien zu faul, zu krank und zu teuer, wie einige Arbeitgebervertreter behaupten. Das war aber nur die erste Angriffswelle.

Was ist die zweite Welle?

Inzwischen haben ja die Protagonisten dieser Debatte gelernt, dass sie mit solchen haltlosen Unterstellungen wahrscheinlich nicht allzu viel Erfolg haben werden. Tatsächlich findet so eine diskreditierende Debatte am Ende des Tages wenig Widerhall. Auch nicht im Parlament. Deswegen folgt jetzt eine zweite Argumentationswelle mit folgender Behauptung: »Es geht darum, die Arbeitszeiten so zu verändern, dass sie auch besser zu eurem Leben passen.« Das ist aber in Wirklichkeit nichts anderes als ein Täuschungsversuch. Denn sonst müsste man als Erstes über erweiterte Rechte der Beschäftigten sprechen, ihre Arbeitszeiten selbstbestimmt flexibler zu gestalten, weil viele Beschäftigte sich überlastet und in Arbeitszeiten gefangen fühlen, die nicht zu ihren Lebensumständen passen. Über mehr Flexibilität in diesem Sinne, mit mehr Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten, können wir gerne reden. Diese scheitern nämlich nicht am Arbeitszeitgesetz, sondern in der Regel am Willen der Arbeitgeber. Das ist auch immer wieder Thema in Tarifverhandlungen. Aber da erleben wir die Arbeitgeber äußerst sperrig. Kurz: Die Bundesregierung sollte sich vor jeder Änderung des Arbeitszeitgesetzes hüten, die zu weiteren Überlastungen in der Arbeitswelt führen würde. Davon haben wir schon zu viel. 

Bedeutet das umgekehrt, dass die Menschen in Deutschland aus Ihrer Sicht zu viel arbeiten?

Teilweise ja, etwa in Branchen wie dem Gesundheits- und Pflegebereich. Das führt dort mittlerweile zu einem zusätzlichen Personalmangel, weil die Beschäftigten dem Arbeitsdruck einfach nicht mehr standhalten können und in der Folge manchmal selbst schwer erkranken. Auch bei Paketlieferern ist das nicht anders. Man nimmt sie nur wahr, wenn es klingelt und sie unser Paket liefern. Ob das in der elften, zwölften oder dreizehnten Arbeitsstunde geschieht, fragt niemand. Genauso wenig, was das mit Menschen macht, denen so lange Arbeitszeiten und ständiger Stress zugemutet werden. Ich könnte noch durch viele weitere Branchen gehen, in denen Personalmangel zu einer hohen Überforderung führt – gerade auch in Branchen des Niedriglohnsektors, wo es häufig überhaupt keine Arbeitszeitkontrolle gibt. Teilweise lautet dort das Geschäftsmodell, kleinste Subunternehmen zu gründen, die nicht mehr als fünf Beschäftigte haben – einzig mit dem Ziel, den Kündigungsschutz auszuhebeln, keinen Tarifvertrag abschließen zu müssen und die betriebliche Mitbestimmung der Beschäftigten zu unterlaufen. In diesen Ausbeuterbuden ist es dann äußerst schwer, gesicherte Arbeitnehmerrechte auch durchzusetzen. Und wenn es sich dann noch um Beschäftigte handelt, die um ihren Aufenthaltstitel in Deutschland kämpfen, dann sind sie der Arbeitgeberwillkür nahezu vollständig ausgeliefert. Es ist schlimm, dass es in Deutschland Arbeitsverhältnisse gibt, die systematisch Machtverhältnisse von erpresserischem Charakter aufbauen und Menschen in Situationen bringen, wo sie sich gegen schlechteste Arbeitsbedingungen und unzumutbare Arbeitszeiten faktisch kaum wehren können. Denn es droht ihnen bei Ärger mit dem Arbeitgeber eben nicht nur der Verlust des Arbeitsplatzes, sondern dann auch ihres Aufenthaltsstatus. 

Sie sagten »teilweise«. Also gibt es auch Gruppen, die zu wenig arbeiten?

Selbstverständlich sehen auch wir Gewerkschaften die Herausforderungen des Fachkräftemangels. Dem kann man allerdings nicht vernünftig und sozial angemessen mit einer längeren Wochenarbeitszeit beikommen. Wer das Gesamtarbeitsvolumen in Deutschland erhöhen will, der muss sich um die realen Schwierigkeiten derjenigen kümmern, die gerne mehr arbeiten würden, es aber nicht können, etwa weil Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder fehlen oder weil es keine ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen für nahe Familienmitglieder gibt, jedenfalls nicht in ausreichender Zahl. Wir haben etwa 30 Prozent Teilzeitbeschäftigte in Deutschland. Das ist eine der höchsten Quoten in Europa und im OECD-Vergleich. Das ist kein Zufall, sondern in der unzureichenden sozialen Infrastruktur begründet. Aber es gibt auch Arbeitgeber, die das gar nicht anders wollen. Daran sollte man arbeiten, statt unsinnige ideologische Debatten aufzuwerfen.

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Yasmin Fahimi

Yasmin Fahimi ist Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB und war Bundestagsabgeordnete für die SPD.

Lukas Scholle

Lukas Scholle ist Ökonom, Gründer und Chefredakteur von Surplus.

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

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