zum Inhalt
Das Wirtschaftsmagazin

KI-Umbruch: (Wie) kann der Globale Süden profitieren?

KI mischt international die Karten neu. Damit auch der Globale Süden profitieren kann, muss er die Entwicklung selbst in die Hand nehmen.

5 Minuten Lesedauer

KI sorgt auch für Umbrüche in den Arbeitsmärkten des Globalen Südens. Credit: IMAGO/YAY Images

Künstliche Intelligenz wird das internationale Machtgleichgewicht verändern – darin sind sich Experten einig. »Ich erwarte nicht, dass KI die globalen Machtstrukturen komplett verändert, aber es trägt zum Erstarken Chinas und Ostasien bei, was die westliche Hegemonie infrage stellen wird«, sagt Ravi Sundaram, Professor am Centre for the Study of Developing Societies der Universität Delhi. Doch abgesehen von Geopolitik, wirkt sich KI auch stark auf den Arbeitsmarkt, Businessmodelle und die Wissensproduktion aus. Wird der Globale Süden von der KI-Revolution profitieren?

Shadow Worker: Arbeiten im Schatten der KI

Was bisher ein grauer Fabrikalltag war, ist nun das eintönige und teils emotional belastende Arbeitsleben der Shadow Worker, die die KI-Modelle tagtäglich am Laufen halten: Sie moderieren Inhalte für Meta, labeln Daten für Amazon oder prüfen Algorithmen für TikTok. Ihre Arbeit ist unsichtbar, aber systemrelevant. Ravi Sundaram analysiert die Entwicklung des Berufsbildes und sieht sie als einen integralen Teil des Arbeitsmarktes, der sich weiter ausbauen wird. Er werde zum Beispiel auf neue Arbeitsplätze im Bereich Programmierung schaffen, da diese Jobs durch KI-Unterstützung zunehmend weniger Hintergrundwissen erfordern. Der Aufstieg in höhere Positionen ist möglich und keine Seltenheit, wie Sundaram beobachtet – der Ausstieg aus der Prekarität wird so leichter als bisher. Doch wenn es um Arbeitsrechte geht, sind die Big-Tech-Unternehmen bislang nicht besser als andere Unternehmen, die Arbeit in Niedriglohnländer outsourcen. In 20-Stunden-Schichten, wie sie in Südostasien oder Afrika an der Tagesordnung sind, arbeiten die Shadow Worker selten mit festen Verträgen. Noch ist das die Realität, auch wenn sich das in Zukunft ändern könnte. 

Datenkolonialismus

Nicht nur die Arbeit mit KI, sondern auch die Daten, mit denen sie gefüttert wird, sind von den bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen durchzogen. Die äthiopische IT-Wissenschaftlerin Abeba Birhane vom Trinity College Dublin beschäftigt sich mit dem Innenleben der KI und sieht darin vor allem ein Problem: Datenkolonialismus. »Künstliche Intelligenz hat die Macht, zu empowern oder auszubeuten. Wir müssen die Kontrolle über ihre Narrative übernehmen – besonders als Afrikanerinnen«, sagte sie 2024 in Dakar. Ihr Problem mit General-Purpose-AI-Modellen (GPAIs) wie ChatGPT? Sie wurden mit Daten gefüttert, die mehrheitlich »weiße, eurozentrisch denkende Männer, die zu einer privilegierten Elite gehören« kuratierten. Die aus diesen Daten entstandenen AI-Modelle wie Gemini und Co. reproduzieren nun Vorurteile und Narrative, die dieser Elite des Globalen Nordens dienen. 

Währenddessen findet ein Prozess der Wissensdekolonialisierung statt, der laut Birhane »korrigieren soll, was vom kolonialen Diskurs verfälscht wurde«. Aber da die GPAIs ihre Trainingsdaten nicht systematisch überprüfen, gelangen weiterhin sexistische oder rassistische Inhalte in den Pool der zum Anlernen der AI genutzten Daten, wie Birhane in einem Paper nachzeichnet. Auch die Perspektive des Globalen Südens auf die eigene Kolonialgeschichte wird durch die Flut an Trainingsdaten der Narrative der ehemaligen Kolonialmächte unsichtbar. Deshalb plädiert sie für eine Rechenschaftspflicht der AI-Konzerne für ihre Inhalte.

Die französisch-palästinensische Abgeordnete Rima Hassan zeigte in ihrer Ausstellung »Fragments d’un refuge«, die im September 2024 in der tunesischen Hauptstadt Tunis stattfand, wie Googles KI-Modell Gemini palästinensische Flüchtlingscamps verfälscht darstellt: Statt der Realität – städtische Strukturen mit gemauerten Häusern und Strom – stellt die KI sie als einfache Zeltlager dar. »Gerade in diesem Gegenüberstellen möchte ich Sie einladen, innezuhalten und zu reflektieren – über die Quellen Ihres eigenen Wissens, über die verborgenen Vorurteile in den Technologien, denen wir vertrauen«, schreibt sie im Manifest der Ausstellung, das zwischen Bildern von dicht an dicht gedrängten Häusern der palästinensischen Camps an der Wand hängt.

Big Tech in Wissensproduktion involviert

Die Machtposition gerade der USA und der dort vertretenen Konzerne bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz ist nichts Neues. Bereits im Jahr 1957 fand eine für die KI richtungsweisende Konferenz statt – organisiert von der Rockefeller Foundation, unter dem Beisein der damals größten Tech-Unternehmen der USA, IBM und BellTower Phone, sowie der Rand Foundation, die mit dem US-amerikanischen Militär involviert ist. Dazu kommentiert die Anthropologin Genevieve Bell von der Australian National University: »Und genau diese Hintergrunddynamiken beachten wir viel zu wenig: Wo kommt das Geld für AI her? Und welche Interessen stecken damals wie heute dahinter?« Dazu belegt Birhanes Studie »Multimodal Datasets: A Critical Perspective« (2020) die Fortsetzung dieser Entwicklung in der heutigen Zeit: Zwischen 2008 und 2019 stieg der Anteil der KI-Publikationen mit Big-Tech-Affiliation von 11 auf 57 Prozent. Damit kontrollieren Tech-Giganten zunehmend die Forschungsnarrative.

Jetzt mit kostenloser Probewoche weiterlesen:

Zur Probewoche

Gibt’s schon einen Account? Login

Vanessa Barisch

Vanessa Barisch arbeitet als freie Journalistin. Sie schreibt über Beziehungen zwischen dem Globalen Norden und Süden. Sie lebt zwischen Tunis und Augsburg.

#5 – Die Ökonomie des Überlebens

Mit dem Klimakollaps droht eine Verwüstung des Planeten. Nur ein anderes Wirtschaften kann ihn aufhalten.

Zum Magazin