Wenn über den Wandel zur Klimaneutralität gesprochen wird, geht es oft um Zahlen: Prozente, Tonnen, Jahre. 2045, so das Ziel, soll Deutschland klimaneutral sein. Was dabei häufig vergessen wird: Hinter diesen Zielen stehen Menschen mit Berufen, Biografien und Identitäten. Der Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird sehr viel weitreichender sein als der Kohleausstieg. Millionen Beschäftigte in Industrie, Handwerk, Landwirtschaft und Bauwesen werden betroffen sein. Neue Technologien, neue Qualifikationen, neue Tätigkeiten – vieles wird sich verändern.
Transformation als Identitätsfrage
Ökonomen und Ökonominnen betonen zu Recht, wie wichtig finanzielle Sicherheit ist, um Akzeptanz zu schaffen. Auch Thomas Piketty, der kürzlich bei Surplus über die Zukunft der Arbeit in der Transformation sprach, sieht darin einen zentralen Schlüssel: Wenn der Lebensstandard nicht leidet, seien Menschen bereit, sich auf Neues einzulassen.
Doch dieser Gedanke greift zu kurz, denn Arbeit ist mehr als der reine Broterwerb: Sie gibt unserem Alltag Struktur, stiftet Sinn und Zugehörigkeit. Sie bestimmt, wie wir über uns selbst denken und wie andere uns sehen.
Der Maschinenbauer, der zur Pflegekraft umschulen soll, verliert nicht nur eine Tätigkeit, sondern ein Stück seines Selbstbilds. Der Stolz auf Technik und Produktion weicht der Unsicherheit, ob man im neuen Beruf dieselbe Anerkennung finden wird. Diese psychologische Dimension wird in der politischen und ökonomischen Debatte häufig übersehen, was mit fatalen Folgen für die Akzeptanz des Wandels einhergeht.
Vom Kohleausstieg lernen
Der Kohleausstieg hat das eindrücklich gezeigt. In den betroffenen Regionen trafen sich Aktivisten und Arbeiterinnen nicht nur in politischen Auseinandersetzungen, sondern in einem tieferliegenden Konflikt. Es ging um die Frage, wer man ist, wenn die Arbeit verschwindet, die einen das ganze Leben lang definiert hat. Der Stolz der Kohlekumpel, einst »Energieversorger der Nation«, verwandelte sich in das Gefühl, nun schuld an der Klimakrise zu sein. Aus Arbeit, die jahrzehntelang Anerkennung erfuhr, wurde Arbeit, die man plötzlich rechtfertigen musste.
Der Kohleausstieg gilt vielen als Musterbeispiel für einen sozial abgefederten Strukturwandel. In der sogenannten Kohlekommission saßen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Umweltverbänden. Das Ergebnis waren großzügige Ausgleichszahlungen für Beschäftigte und Milliardeninvestitionen für den Strukturwandel – insgesamt rund 40 Milliarden Euro.
Und doch war die Wut groß. Protestzüge von Bergleuten bis vor die Häuser von Umweltaktivisten sind bis heute Symbolbilder dieser Auseinandersetzung. Wie konnte es trotz Beteiligung und vergleichsweise guter ökonomischer Absicherung so weit kommen?
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