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Das Wirtschaftsmagazin

Die Monopolmacht wächst – und zerstört die Freiheit

Der heutige Kapitalismus ist weit davon entfernt, faire Wettbewerbsmärkte zu schaffen. Die Monopolmacht verhindert Innovationen und befeuert die Ungleichheit.

8 Minuten Lesedauer
Collage: Surplus

Rose und Milton Friedman betitelten ihren Lobgesang auf freie Märkte Free to Choose. Sie behaupteten, diese Wahlfreiheit trage maßgeblich zur Effizienz einer Marktwirtschaft bei und sei eine notwendige Voraussetzung einer freien Gesellschaft. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts ist weit entfernt von der Wirtschaftsordnung, die von den Friedmans verklärt wurde. Er zeichnet sich durch ein hohes Maß an Marktmacht aus, die es Unternehmen erlaubt, Informationsdefizite und weitere Schwächen von anderen auszunutzen. Keine real existierende moderne Volkswirtschaft kommt der idealisierten, reinen, kompetitiven Marktwirtschaft auch nur nahe. 

Neuere Forschungsarbeiten haben gezeigt, wie außerordentlich hoch Marktmacht in einer breiten Palette von Branchen in den USA konzentriert ist. Und die Konzentration nimmt weiter zu, wie man daran ersehen kann, dass ein wachsender Teil des Volkseinkommens auf Unternehmensgewinne entfällt, dass die Reallöhne (inflationsbereinigt) und die Einkommen der Durchschnittsamerikaner stagnieren und die Margen (Verhältnis von Preisen zu Kosten) steigen. Schon vor der Covid-19-Pandemie war die Lage schlecht, aber in der Pandemie und im Anschluss daran wurde sie noch viel schlechter, wobei die Sektoren und die Unternehmen mit größerer Marktmacht höhere Margen durchsetzten. Dies bedeutete, dass Unternehmensgewinne deutlich zulegten, als Unternehmen ihre gewachsene Marktmacht infolge pandemiebedingter Lieferkettenunterbrechungen ausnutzen konnten.

Diese Art von Ausbeutung schadet der ökonomischen Effizienz und der Gesundheit der Wirtschaft. Unternehmensgewinne stiegen weit über das Niveau, das für eine normale (risikogerechte) Kapitalrendite notwendig gewesen wäre. Wenn eine Person eine andere ausbeutet, mag ihr Einkommen steigen und ihre Freiheit zunehmen, aber die andere Person verliert und ihre Wahlfreiheit schrumpft.

Bei vielen, die auf den obersten Sprossen der ökonomischen Leiter stehen, entstammt ein Teil oder auch ein Großteil ihres Einkommens aus der einen oder anderen Form von Ausbeutung. Die Finanzkrise von 2008 enthüllte, wie es so viele Banker zu Reichtum gebracht hatten: nicht nur durch übermäßige Risikoneigung – mit der Folge, dass die Regierung die Banken retten musste –, sondern auch durch Täuschung, Betrug und missbräuchliche Kreditvergabe. Auch viele Unternehmensführer verdanken einen Gutteil ihres Reichtums der Ausnutzung von Marktmacht. Bill Gates’ Unternehmen Microsoft wurde von Gerichten auf drei Kontinenten wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens verurteilt. Auch Google, Facebook (Meta) und Amazon wurden (meines Erachtens zu Recht) wegen wettbewerbsbeschränkender Praktiken verklagt. Das ausbeuterische Verhalten von Walmart gegenüber seinen Beschäftigten ist ebenfalls gut dokumentiert. Hinter diesen Unternehmensfassaden verbergen sich einige der größten Vermögen der Welt.

Während wir die heutigen Erfolgsgeschichten kennen, scheinen viele Vermögen in der Vergangenheit auf noch schlimmere Weise aufgebaut worden zu sein. So machten viele ein Vermögen mit dem Sklavenhandel und den Produkten, welche die Versklavten herstellten, nämlich Baumwolle und Zucker. Die Gebrüder Lehman stehen auf dieser langen Liste. Die Unternehmen hinter John D. Rockefeller, dem reichsten Menschen seiner Generation, und James Buchanan Duke, einem weiteren der Plutokraten des frühen 20. Jahrhunderts, wurden wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens verurteilt.

Die Tatsache, dass sich die Einkommen so vieler Reicher zumindest teilweise Ausbeutung verdanken, bestätigt die frühere Schlussfolgerung, dass wir der Einkommensverteilung, die von einer Marktwirtschaft erzeugt wird, keinen Vorrang einräumen sollten. Das hat nichts mit »gerechter Entlohnung« zu tun. Es gibt keine moralische Rechtfertigung für solche Einkommen, aber es gibt ein moralisches Argument für Umverteilung, dafür, Einkommen, das durch Ausbeutung erzielt wurde, abzuschöpfen. Wir können uns sogar auf das berufen, was Ökonomen am meisten interessiert: Effizienz und Anreize. Eine umverteilende Besteuerung verringert die Anreize zur Ausbeutung – insbesondere, wenn sie sich direkt gegen Ausbeutung und unrechtmäßige Gewinne richtet.

Marktmacht

Die Volkswirtschaften des 21. Jahrhunderts werden von Großunternehmen beherrscht, die über erhebliche Marktmacht verfügen – unter anderem die Macht, Preise zu erhöhen, Kunden schäbig zu behandeln und zu verlangen, dass jeder Streitfall durch ein Schiedsgericht entschieden wird, das von dem Unternehmen kontrolliert wird, statt durch ein staatliches Gericht. Unternehmen haben auch enorme Macht über ihre Mitarbeiter (die sogenannte Monopsonmacht), was Unternehmen die Möglichkeit gibt, Löhne zu drücken. Die Gewerkschaften sind geschwächt, und Arbeitsgesetze haben die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern weiter verschlechtert. 

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Joseph Stiglitz

Jospeh Stiglitz ist Wirtschaftsprofessor, Nobelpreisträger und war Chefökonom der Weltbank. Er ist weltweit einer der einflussreichsten Wirtschaftsanalysten.

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