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Das Wirtschaftsmagazin

Paula Thiede kämpfte für Frauen- und Arbeiterrechte

Paula Thiede revolutionierte den gewerkschaftlichen Kampf für bessere Löhne und Vereinbarkeit von Sorge- und Lohnarbeit.

7 Minuten Lesedauer
Paula Thiede. Collage: Surplus

Das Hallesche Tor Kreuzberg markiert seit jeher den südlichen Eingang zum Berliner Presseviertel, das Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung der Druckbranche entstand. Während einst die großen Verlagshäuser Mosse, Ullstein und Scherl dort die Medienlandschaft prägten, waren es die Arbeitenden der über 500 Druckereibetriebe, die das Presseviertel zu einem Brennpunkt gewerkschaftlicher Kämpfe machten. Eine zentrale Figur dieser Bewegung war Paula Thiede. 

Die junge Frau, die in einer proletarischen Familie am südlichen Rand des Berliner Zeitungsviertels aufwuchs, begann mit knapp 14 Jahren als Hilfsarbeiterin in einer Buchdruckerei zu arbeiten. Schon einige Jahre später führte Paula Thiede als erste Frau eine landesweit organisierte Gewerkschaft und stritt für Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen für Hilfsarbeitende in der Druckindustrie. 

Neben den Bestrebungen der sozialdemokratischen Frauen ihrer Zeit war ihr Lebensziel der gewerkschaftliche Kampf für die Verbesserung der Lebensbedingungen. Sie kritisierte, dass Frauen als billige Hilfsarbeiterinnen ausgenutzt wurden und thematisierte die Doppelbelastung von Frauen durch Erwerbs- und Hausarbeit. Sie war, wie viele ihrer Kolleginnen, maßgeblich an der Gewerkschaftsbewegung in der Hilfsarbeiterschaft beteiligt. Dieser Kampf wäre nicht möglich gewesen ohne die Selbstermächtigung und Selbstorganisation der Hilfsarbeiterinnen in den Buchdruckereibetrieben Berlins. 

Heute setzt das Medienhaus Axel Springer im Berliner Presseviertel dieses publizistische Erbe fort. Arbeitskämpfe bekommen weniger gesellschaftliche Aufmerksamkeit als in den 1890er Jahren, doch die Publikationen des Medienkonzerns fallen durch gewerkschaftsfeindliche Berichterstattung auf. Zuletzt beispielsweise, als die Berliner Kitastreiks für mehr Entlastung von der Bild Zeitung als »Sinnlos-Streiks« diskreditiert wurden. 

Fragt sich, was Paula Thiede als Gewerkschaftsvorsitzende dem milliardenschweren Springer-Chef Matthias Döpfner entgegnet hätte. Anhand ihrer Person lassen sich Strategien für die heutige erfolgreiche Aufnahme von Geschlechterfragen in der Gewerkschaftsarbeit aufzeigen.

Buchdruckpressen und der Preis der Arbeitsvermittlung

Paula Thiede begann selbst mit knapp 14 Jahren als Anlegerin in einer Druckerei zu arbeiten. Im monotonen Rhythmus der Buchdruck-Schnellpressen legte sie jeden Tag aufs Neue große Papierbögen in die Maschinen ein. Dabei erforderte die sich stetig wiederholende Tätigkeit nicht nur Geschick, sondern auch ein erhebliches Maß an Konzentration, um im Takt der Maschinen zu arbeiten. Die Hilfsarbeiten, insbesondere das Anlegen von Papierbögen in die Druckmaschinen, wurden überwiegend von Frauen ausgeführt, die deutlich schlechter entlohnt wurden als ihre männlichen Kollegen. Als Vorwand für diesen Misstand wurde die geringere Qualifikation der Frauen angeführt. In den Druckereibetrieben gab es bei den weiblichen Beschäftigten eine signifikant höhere Fluktuation. Ebenso konnten Frauen nur sehr selten eine formale Ausbildung durchlaufen aufgrund patriarchaler Strukturen.

Paula Thiede und ihren Mistreiterinnen war klar: Hilfsarbeiten wie das Anlegen des Papiers wurden an Frauen vergeben, um möglichst niedrige Löhne zu zahlen. Arbeitsunterbrechungen waren bei Frauen aufgrund von Schwangerschaften und Geburten wesentlich häufiger zu beobachten. Thiede kannte die Anliegen ihrer Kolleginnen. Sie heiratete mit 19 Jahren den Schriftsetzer Rudolf Fehlberg und wurde wenige Wochen später selbst Mutter. Kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes verstarb ihr Ehemann und Thiede nahm hochschwanger ihre Arbeit als Hilfsarbeiterin auf. Daraufhin verstarb ihr zweites Kind noch als Säugling im August 1891. Thiede und ihre Kolleginnen kämpften mit den Rollenbildern des 19. Jahrhunderts, die für Frauen Sorge- und Reproduktionsarbeit nach Ende der Lohnarbeitszeit vorsahen. Die Führung des Haushalts, die Betreuung und Erziehung der Kinder sowie die emotionale Fürsorge für die gesamte Familie – all diese Verantwortlichkeiten hätten damals wie heute geteilt werden können. 

Zur Zeit Thiedes suchten viele Hilfsarbeiterinnen rund um den Treptower Park nach Arbeit. Sie fanden von den Arbeitgebern beauftragte Arbeitsvermittlungsbüros vor, die die Not der Arbeitssuchenden ausnutzten. Thiede kannte dieses zwielichtige Geschäftsmodell, das auch die Anstellungen der Hilfsarbeiterinnen in den Druckbetrieben regelte. Ende des 19. Jahrhunderts war die Arbeitslosigkeit so hoch, dass sich die Arbeitssuchenden gezwungen sahen, Gebühren für die Arbeitsvermittlung zu bezahlen. Ein Trinkgeld von 5 Mark wurde von dem Stellenvermittler für Druckerei-Hilfsarbeitende erwartet und wer sich darüber beschwerte, wurde vom Vermittler vor die Tür gesetzt. 

Selbstorganisation der Hilfsarbeiterinnen im Buchdruck

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Johanna Kaufmann

Johanna Kaufmann studiert Politische Ökonomie in Berlin und arbeitet am Harriet Taylor Mill-Institut.

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