Xenia Miller: Die Ampel ist am Haushalt gescheitert, jetzt zeichnet sich eine historische Lücke ab 2027 ab. Wird auch die schwarz-rote Koalition am Haushalt scheitern?
Ines Schwerdtner: Früher oder später ja. Die Löcher sind so riesig, dass Merz’ Koalition zum Scheitern verurteilt ist. Entweder sie scheitern direkt beim Aufstellen des Haushalts für 2027 oder bei der nächsten Wahl durch die dann umgesetzte massive Kürzungspolitik. Es droht, dass die Bundesregierung die Finanzierungslücke durch ein Paket stopft, das aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, einer Kürzung des Rentenzuschusses oder des Bürgergeldes besteht.
Woran liegt es, dass gerade jetzt zwei Regierungen hintereinander am Haushalt zu scheitern drohen?
Dafür sind drei Gründe zentral: die Steuersenkungen für die Reichsten der letzten Jahrzehnte, die Schuldenbremse und die massive Aufrüstung, deren Zinsen den Haushalt belasten. Alle drei Dinge müssen sich ändern: Niemand braucht eine NATO-Quote von 5 Prozent, was bald die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts ausmacht. Gleichzeitig brauchen wir ein Ende der Schuldenbremse und den Beginn von echter Umverteilung. Die Regierung behauptet, es wäre ein Zwang, jetzt bei Sozialem kürzen zu müssen. Doch Sozialkürzungen sind kein Naturgesetz. Das sind politische Entscheidungen, und als solche sollten wir sie auch benennen. Auch das Narrativ, man müsse den Sozialstaat kürzen, weil dieser ›aufgebläht‹ sei, ist irreführend. Arbeit und Soziales ist zwar noch – er wird absehbar vom Militär überholt – der größte Posten, aber das auch nur, weil die Rente mit drin ist. Schaut man genauer hin, sieht man: Im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum oder im Verhältnis zum Gesamthaushalt geben wir im Zeitverlauf nicht wesentlich mehr für den Sozialstaat aus. Und dann ist die Frage essenziell, was man politisch will: Möchte man einen Sozialstaat finanzieren, der Menschen absichert, oder nicht? Wir Linke halten das für eine Errungenschaft, die es unbedingt zu verteidigen gilt. Das heißt im Übrigen nicht, dass wir uns keine Reformen vorstellen können, aber eben in eine ganz andere Richtung als die Kürzungen und die Attacken, die gerade von der Bundesregierung laufen. Bei der Rente wollen wir zum Beispiel, dass alle in die gesetzlichen Rentenkassen einzahlen – auch Abgeordnete und Beamte.
Wieso wird aktuell derart um soziale Sicherungssysteme gekämpft?
Die permanenten Angriffe auf den Sozialstaat sind ideologische Nebelkerzen, die von den eigentlichen Problemen ablenken sollen, die jetzt in Expertenkommissionen verschoben werden. Außerdem soll damit die arbeitende Klasse erkennbar diszipliniert werden. Das zeigt die wochenlange Debatte zum Bürgergeld sehr deutlich: Die Einsparmöglichkeiten – und ich halte sie für politisch falsch – betragen, wenn überhaupt, 1,5 Milliarden Euro. Sie würden kein Loch der Welt stopfen. Es ist absolut unverhältnismäßig, was an Attacken im politischen Diskurs von den Ministern kommt und worum es eigentlich im Haushalt geht.
Eine der Expertenkommissionen soll die Schuldenbremse überarbeiten. Die Linke forderte im Wahlkampf, dass die Schuldenbremse für alle Ausgaben enden soll. Wie würde das konkret aussehen?
Es geht hauptsächlich um Investitionen, aber nötigenfalls auch um den sozialen Ausgleich, den wir nicht gefährden dürfen. Wir sind dafür, die Schuldenbremse abzuschaffen, aber wir wissen natürlich, dass es realistisch um eine Reform gehen wird. Um soziale Vorhaben zu finanzieren, müsste man immer noch vor allem einnahmenseitig etwas ändern.
Das heißt?
Wir wollen nicht nur die Schuldenbremse abschaffen, sondern auch die Vermögenssteuer wieder einführen und die Erbschaftssteuer gerechter gestalten. Es geht auch darum, eine Gerechtigkeitsfrage zu stellen, die etwas anderes ist, als alles über Schulden zu finanzieren. Die massive Ungleichheit und das Anwachsen an Superreichen ist auch ein Demokratieproblem. Es ist absolut legitim und auch gerecht zu fordern, dass sich diejenigen am Sozialstaat beteiligen und einzahlen sollen, die es können. Je restriktiver die Reform der Schuldenbremse ausfällt, umso mehr erhöht dies den politischen Druck, endlich Steuergerechtigkeit herzustellen.

Bisher haben wir gesehen, dass in den Ländern, in denen die Linke an der Regierung beteiligt war, die Schuldenquote gesunken ist, zum Beispiel in Berlin von etwa 60 auf 30 Prozent in den vergangenen 15 Jahren. Wo hat dann die Linke den Unterschied gemacht, was Schulden und Investitionen angeht?
Die Linke regiert ja nicht allein. Und ich glaube auch, heute ist es eher möglich, haushaltspolitisch alles auszureizen, als noch vor einigen Jahren, als die Ideologie der Austerität bis in alle Länderhaushalte ging. Das ist heute anders, weil man den Investitionsstau so deutlich sieht. Und trotzdem weiß ich, dass die Rahmen der Länderfinanzen sehr, sehr eng gestrickt sind und eben auch mit den Koalitionspartnern zusammenhängen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Bundes-Schuldenbremse gelockert wird, damit die Spielräume in den Ländern maximal ausgenutzt werden können. Erst wenn die Schuldenbremse fällt, kann der Kapitalismus fallen.