zum Inhalt
Das Wirtschaftsmagazin

Studie: Arbeitende sind schon jetzt bis zur Grenze belastet

Die Union will, dass die Menschen in Deutschland mehr arbeiten. Aber: Schon jetzt arbeiten viele zu hart und zu viel, wie eine Studie zeigt.

5 Minuten Lesedauer
Eine Studie gibt neue Erkenntnisse über Basisarbeitende. Credit: IMAGO/Jochen Tack

Abschaffung des 8-Stunden-Tags, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Kürzung der Sozialleistungen. Zur Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft gilt es, den Gürtel enger zu schnallen und mehr zu arbeiten – zumindest, wenn man der Union folgt. Was Merz, Reiche, Söder und Co. der Gesellschaft als kollektive Anstrengung im Namen der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands verkaufen, wird häufig auf dem Rücken der Schwächsten am Arbeitsmarkt ausgetragen. Wer von der »arbeitenden Bevölkerung« als homogene Masse spricht, verkennt, dass Einkommen, körperliche Belastung und Arbeitszeit sehr ungleich verteilt sind. Das zeigt eine Studie des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum. Diese untersucht auf Grundlage von qualitativen Interviews und einer Meinungsumfrage die Lebens- und Arbeitsrealität von Menschen in un- und angelernten Berufen, sogenannter Basisarbeit. Rund ein Fünftel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet in solchen Tätigkeiten. Sie reinigen Büros, öffentliche Toiletten und U-Bahnhöfe, liefern Briefe, Pakete und Essen aus, pflegen alte und kranke Menschen, stehen am Fließband oder räumen Supermarktregale ein. Die häufig gering entlohnte und körperlich stark belastende Arbeit ist für unsere Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar, bleibt jedoch in politischen Debatten meist ungesehen.

»Ich muss das machen, bis ich umflieg«

Wie realitätsfern die Forderung nach mehr und längerer Arbeit für viele Menschen ist, zeigt ein Blick in die Ergebnisse der Studie. Gut ein Drittel der Befragten im Bereich der Basisarbeit – aber auch 22,1 Prozent der Menschen in qualifizierten Berufen – sind aufgrund der körperlichen Belastung unsicher, ob sie ihre Arbeit bis zum Renteneintritt ausüben können. »Ich frage mich, wie lange ich das noch machen kann, bevor ich zusammenbreche. An manchen Tagen ist das extrem anstrengend. Ich habe Kopf- und Rückenschmerzen«, beschreibt eine 41-jährige Pflegehilfskraft die körperlichen Auswirkungen ihrer Arbeit. Und nicht nur physisch, sondern auch psychisch stehen Basisarbeitende unter Druck: »Am besten müsste man den ganzen Tag nur noch rennen, rennen, rennen, um alles zu schaffen«, so eine Verkäuferin im Einzelhandel (56 Jahre). Die Befragten berichten zudem von zunehmender Arbeitsverdichtung und davon, dass sie wenig Möglichkeiten haben, ihre Arbeitszeit frei einzuteilen.

Viele Basisarbeiterinnen und -arbeiter, aber auch Beschäftigte in qualifizierten Berufen, scheiden deshalb früher aus dem Berufsleben aus oder reduzieren ihre Arbeitszeiten, wie eine Untersuchung der Arbeitskammer Bremen zur Pflege zeigt. Das eigentliche Potenzial läge also darin, die Arbeitsbelastung zu reduzieren und es den Beschäftigten physisch und psychisch möglich zu machen, ihren Job auf eine gesunde Weise und nach bestem Gewissen auszuüben. Eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, wie von Merz vorgeschlagen, würde hingegen die soziale Schieflage weiter verstärken. Denn Menschen mit geringem Einkommen, die oft körperlich schwer belastende Tätigkeiten ausüben, haben im Durchschnitt eine kürzere Lebenserwartung. Bei Männern ist zum Beispiel das Risiko, zwischen 55 und 76 Jahren zu sterben, bei niedrigem Einkommen mit 21 Prozent doppelt so hoch, wie bei Männern mit dem höchsten Einkommen (11 Prozent). Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters bedeutet für sie also konkret, dass sie einen höheren Anteil ihrer Lebenszeit auf Lohnarbeit verwenden müssen – oder aber eine Kürzung der ohnehin oftmals nicht ausreichenden Rente hinnehmen müssten. Eine 62-jährige Reinigungskraft fasst es zusammen: »Ich muss das machen, bis ich umflieg.«

Wenn das Einkommen kaum zum Leben ausreicht

Jetzt mit kostenloser Probewoche testen:

Zum Newsletter

Gibt’s schon einen Account? Login

Mara Buchstab

Mara Buchstab ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet bei dem Berliner Think Tank Das Progressive Zentrum im Schwerpunkt Green New Deal.

Johanna Siebert

Johanna Siebert ist Politökonomin und arbeitet derzeit als Senior Projektmanagerin im Schwerpunkt Green New Deal des Berliner Think Tanks Das Progressive Zentrum.

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

Zum Magazin