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Das Wirtschaftsmagazin

Investitionen und Industriepolitik statt Scheinlösungen

Steuerfreie Überstunden, Karenztage bei Krankheit, Entlastung für die Reichsten – all das sind Scheinlösungen gegen die Wirtschaftsschwäche, meint Sebastian Dullien.

Collage: Surplus, Material: IMAGO / Jens Schicke, Rupert Oberhäuser

Der deutschen Wirtschaft geht es objektiv nicht gut. Das Bruttoinlandsprodukt liegt heute kaum höher als Ende 2019, unmittelbar vor der Covid-Pandemie. Für 2024 hat das statistische Bundesamt gerade erst eine neue Schrumpfung vermeldet. Auch für 2025 ist keine Trendwende in Sicht. Schlimmer noch: Nachdem der Arbeitsmarkt lange stabil war, steigt nun die Arbeitslosigkeit. Immer mehr Unternehmen kündigen Stellenabbau oder gar Werksschließungen an.

Wenn in der öffentlichen Debatte zur Abwechselung nicht über Migration gesprochen wird, so hagelt es Vorschläge, wie man die deutsche Wachstumsschwäche überwinden könne. Da wird etwa gefordert, doch Karenztage bei Krankheit einzuführen. Oder es sollen Überstunden für Vollzeitbeschäftigte steuer- und abgabenfrei gestellt werden. Oder es wird diskutiert, ob der Regelsatz zum Bürgergeld 2025 vielleicht ein paar Euro zu hoch sei und gesenkt werden solle. Union, FDP und AfD fordern zudem massive Steuersenkungen, vor allem für Besser- und Spitzenverdiener.

Bedauerlicherweise gehen diese Vorschläge unisono an den Ursachen der deutschen Stagnation vorbei und sind auch nicht geeignet, die echten Probleme des Landes zu lösen. Denn das deutsche Wirtschaftsmodell ist in den vergangenen Jahren nicht etwa durch hohe Sozialausgaben oder hohe Lohnkosten unter Druck geraten, sondern vor allem durch geopolitische Verschiebungen, deren Folgen durch eine falsche Finanzpolitik noch verschärft wurden.

Die Gründe der Wirtschaftskrise

Zentral ist dabei zweierlei: Eine zunehmende Systemkonkurrenz zwischen den USA und China und der Verlust Russlands als verlässlicher Energielieferant. China und die USA konkurrieren darum, die größte und mächtigste Volkswirtschaft der Welt zu werden beziehungsweise zu bleiben, und diesem Ziel wird zunehmend der Wunsch nach wachsendem Wohlstand für die eigene Bevölkerung und der Welt insgesamt untergeordnet.

China versucht mit seiner »Made in China 2025«-Strategie durch aggressive Industriepolitik in wichtigen Schlüsselbranchen Technologie- und Qualitätsführer zu werden und sich von Importen unabhängiger zu machen. Viele der von China angepeilten Branchen sind Bereiche, in denen Deutschland bisher exportstark war und ist: (E-)Mobilität, Maschinen, Roboter, Pharmaprodukte. Und in diesen Branchen werden chinesische Hersteller von der Regierung in Peking mit allen denkbaren Instrumenten der Industriepolitik gefördert.

Die USA wollen zum einen ein Auf- und mögliches Überholen Chinas verhindern, zum anderen die eigene inländische Industrieproduktion und -beschäftigung erhöhen. Dafür setzen sie Zölle, Subventionen und Exportrestriktionen ein. 

Deutschlands Industrie gerät so auf zwei der wichtigsten deutschen Exportmärkte unter Druck: In kein anderes Land exportiert Deutschland so viel wie in die USA, China lag zeitweise vor Frankreich und den Niederlanden auf Platz zwei. Nun fallen die deutschen Exporte nach China, und Donald Trumps Ankündigungen massiver Zollerhöhungen bedrohen die Ausfuhren in die USA. Damit nicht genug: Die von der chinesischen Regierung geförderten Branchen werden auch zunehmend auf Drittmärkten wettbewerbsfähiger und machen dort deutschen Unternehmen den Verkauf schwer.

Zudem sind die Energiepreise in Deutschland durch die russische Invasion in die Ukraine und die Unterbrechung russischer Gaslieferungen massiv gestiegen. Strom und Gas sind im Großhandel bei uns heute noch etwa zweieinhalbmal so teuer wie 2019. Die gestiegenen Energiepreise erklären, warum die Produktion energieintensiver Industriezweige heute 15 Prozent niedriger liegt als noch 2021.

Verschärft wurden die Probleme der deutschen Wirtschaft durch die Finanzpolitik, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse aus dem Herbst 2023 hektisch versucht hat, den Fehlbetrag im Bundeshaushalt zu korrigieren und dafür nicht nur über Nacht Förderungen etwa für E-Autos strich, sondern auch noch zum Jahresbeginn 2024 hektisch Abgaben erhöhte. Mitten hinein in eine schwere Konjunkturschwäche bremste die Finanzpolitik hier noch zusätzlich – genau das Gegenteil von dem, was gängige makroökonomische Lehrbücher empfehlen würden.

In der öffentlichen Debatte werden diese Ursachen der deutschen Wachstumsschwäche allerdings zu großen Teilen ignoriert: Der Herausforderung durch aggressive amerikanische und chinesische Industrie- und Handelspolitik oder teure Energie kann man nicht mit einer Steuerfreiheit auf Überstunden, Steuersenkungen für Besserverdienende oder Kürzungen beim Bürgergeld sinnvoll begegnen.

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