Maria* ist alleinerziehende Mutter eines Kindes mit Pflegegrad drei. Derzeit geht sie vormittags einem Minijob nach. Das Jobcenter hat nun angekündigt, dass sie jeden Tag sechs Stunden arbeiten soll. Das würde ihr verunmöglichen, sich angemessen um ihr Kind zu kümmern. Sie ist eine von 1,7 Millionen »erwerbsfähigen Leistungsberechtigten«, denen Schwarz-Rot das Bürgergeld am liebsten komplett entziehen möchte, da sie angeblich arbeiten kann, aber nicht will. Sie wäre bei der zweiten Ablehnung eines Arbeitsangebots eine »Totalverweigerin«, die als Schreckgespenst durch die Medien gescheucht wird.
Das Sondierungspapier von SPD und CDU sieht eine »neue Grundsicherung für Arbeitssuchende« vor, durch die sich das Leben von Maria und vielen anderen Bürgergeldbeziehenden verschlimmern würde. Sie geht an der Lebensrealität dieser Menschen vollkommen vorbei. Im Papier heißt es: »Für die Menschen, die arbeiten können, soll der Vermittlungsvorrang gelten. (...) Wir werden Vermittlungshürden beseitigen, Mitwirkungspflichten und Sanktionen (...) verschärfen. (...) Großangelegter Sozialleistungsmissbrauch (...) muss beendet werden.« Was sich oft hinter sogenannten »Vermittlungshürden« verbirgt, sind Behinderungen, körperliche und psychische Krankheiten, Kinder, das Alter, der Wohnort oder geringe Qualifikation, manchmal auch alles zusammen. Die Vorschläge aus dem Papier würden diejenigen weiter gängeln, die sowieso schon harte Kämpfe führen müssen.
Bürgergeld-Totalsanktionen treffen die Schwachen
Denn wer einen Job nicht annimmt, dem drohen Totalsanktionen. Die werden jene treffen, die aus nachvollziehbaren Gründen eine Arbeit ablehnen, weil sie zum Beispiel wie Maria Pflege- oder Erziehungsarbeit leisten und der angebotene Job sich nicht mit dieser Care-Arbeit vereinbaren lässt. Um die widerspruchslose Vermittlung in Jobs zu gewährleisten, sollen Leistungen nun laut dem Sondierungspapier komplett und dauerhaft entzogen, wenn Menschen sich ein zweites Mal »beharrlich weigern«. Dabei sind bereits die beim ersten Mal zulässigen 30 Prozent »Leistungsminderung« hart, wenn man Löcher in den Winterschuhen und kaum genug zu essen hat. Da muss schon etwas ganz und gar nicht stimmen, wenn man eine Arbeit ablehnt.
Auch Hartz IV stand ganz im Zeichen des sogenannten Vermittlungsvorrangs. Die Kehrseite davon waren nicht nur der massive Ausbau des Niedriglohnsektors mit all seinen Nachteilen, sondern auch der sogenannte Drehtüreffekt, der in Studien des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung nachgewiesen wurde: Menschen nehmen Arbeit an, geben diese aber nach kurzer Zeit wieder auf oder verlieren sie und landen, schwupps, erneut im Jobcenter.
Schon seit einem Jahr gibt es ein hartes Regime: Wer ein vom Jobcenter vermitteltes Jobangebot ablehnt, dessen Bürgergeld kann für zwei Monate sogar komplett gestrichen werden – nur die Miete wird weiter bezahlt. Zeigt sich der oder die Betroffene weiterhin »uneinsichtig«, kann die Sanktion auf bis zu acht Monate im Jahr ausgeweitet werden. Herzlichen Glückwunsch an den SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, der diese Verschärfung unter Jubel der Union, FDP und AfD auf den Weg gebracht hat! Wer bei den Sondierungsgesprächen noch einen Rest Hoffnung in die SPD gesetzt hat, wurde erneut bitter enttäuscht. Das Bürgergeld hat Hartz IV zwar ohnehin nie überwunden, sondern ihm lediglich einen neuen Namen gegeben, aber zumindest wurden mit dem Bürgergeld die Sanktionsmöglichkeiten durch ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht von 2019 etwas eingeschränkt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass diesem Urteil auch in der neuen Regierung nicht angemessen Rechnung getragen wird. Nun soll die Sanktionspraxis noch einmal verschärft werden.
Der Kanzler in spe, Friedrich Merz, verkündete sogar unverfroren, dass er auch Verfassungsklagen in Kauf nähme. Wohl wissend, dass sich die meisten Menschen, die von solchen Sanktionen getroffen werden, gar nicht wehren können, ihre Rechte nicht kennen, keine Anwältin finden und eine Verfassungsklage überdies Jahre dauern könnte. Bis dahin kann er recht ungestört widersinnige Symbolpolitik betreiben, die rein gar kein Problem löst, aber immerhin ganz klar Sündenböcke markiert, gegen die angeblich endlich tatkräftig ins Feld gezogen wird. Als hätte auch nur ein schlecht bezahlter Mensch dadurch mehr im Einkaufswagen oder auf der Gehaltsabrechnung.
Das gesamte Weltbild, das hinter dem Sondierungspaket steckt, ist ideologisch. Denn Sanktionen führen mitnichten dazu, dass Menschen in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Trotzdem hat die Verschärfung des Sanktionsregimes einen Zweck. Nicht nur an Menschen mit Bürgergeld selbst, sondern vor allem auch an die 10,5 Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor und sogar bis ins mittlere Lohnsegment sendet es ein unmissverständliches Signal: »Hier willst du nicht landen, mach bloß deine Arbeit, egal, zu welchen Konditionen!« Ein schlecht ausgestattetes Bürgergeld ist immer auch eine Drohkulisse für all jene, die Erwerbsarbeit verrichten.
Bürgergeld-Sanktionen entkernen das Bürgergeld
Im Bürgergeld lag der Fokus zumindest in der Theorie kurzzeitig auf »Qualifizierung und Weiterbildung«. Das hätte ein großer Fortschritt sein können. Menschen würden so nicht entmündigt und müssten nicht unter Androhung von Sanktionen unterbezahlte Jobs annehmen. Es wäre andererseits aber auch gut für den Arbeitsmarkt gewesen, da so Fachkräfte ausgebildet werden könnten. Qualifizierung und Weiterbildung kosten aber auch Geld. Geld aber wurde den Jobcentern Jahr für Jahr gekürzt und soll auch zukünftig weiter gekürzt werden. Hinter vorgehaltener Hand erzählen selbst Personen aus den Führungsriegen verschiedener Jobcenter, dass Qualifizierung und Weiterbildung zwar wünschenswert, aber aus finanziellen Gründen nie umsetzbar waren. Anstatt nun also die Behörden entsprechend auszustatten und sinnvolle Weiterbildungsangebote zu schaffen, die letztlich sowohl für die Einzelnen als auch für die Volkswirtschaft ein Gewinn wären, will man das Sanktionsregime und den Vermittlungsvorrang wieder einführen.
Nur 0,38 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden wurden letztes Jahr überhaupt sanktioniert, weil sie eine Arbeit oder Maßnahme abgelehnt haben. Es passiert also fast nie, obwohl auch arme Menschen von ihrem Recht auf freie Berufswahl Gebrauch machen können sollten. Sie tun es kaum. Die für Florida-Rolf bestellten Peitschenhiebe der »neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende« verschlimmern das Leben von 3,8 Millionen Kindern, Aufstockern, Kranken, Menschen, die Care-Arbeit leisten; jeder dritten alleinerziehenden Mutter und unzähligen anderweitig benachteiligten Personen. Das Bürgergeld mit seinem niedrigen Regelsatz und die Möglichkeit der Sanktionierung sind schon jetzt das Kombipaket altbackener, patriarchaler Bevormundung, die das Recht auf freie Berufswahl aushebeln, Menschen krank vor Existenzangst machen und den Niedriglohnsektor füttern. Noch dazu dient es als perfekter Whataboutism, um zu verschleiern, dass Reiche ein unverdientes Privileg nach dem anderen abräumen und Geld sich systematisch dort stapelt, wo es ohnehin zur Genüge vorhanden ist.
Einsparpotenzial gibt es im Bürgergeld nicht, ohne die Menschen noch tiefer in die Not zu stürzen. Keine Kürzung beim Bürgergeld kann den Haushalt ernsthaft sanieren, sondern wird – im Gegenteil – immense Folgekosten verursachen. Die SPD hat all das maßgeblich mitzuverantworten.
*Name von der Redaktion geändert