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Das Wirtschaftsmagazin

Der größte Hebel – für mehr Gemeineigentum

Vergesellschaftung ist dank Artikel 15 des Grundgesetzes möglich – und Teil des Kampfes für einen bewohnbaren Planeten.

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Protestierende in Berlin wollen Wohnungskonzerne enteignen. Credit: IMAGO / Peter Homann

Es ist der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen zu verdanken, dass in Deutschland wieder eine Debatte über Vergesellschaftung geführt wird. In Hessen sollten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, der Energiewirtschaft und des Verkehrswesens vergesellschaftet werden. Ziele der Vergesellschaftung waren Freiheit, Friede und Fortschritt. Anders als die hessische Landesverfassung von 1946 enthält das Grundgesetz nicht die Pflicht, sondern mit Artikel 15 nur die Möglichkeit der Vergesellschaftung.

In Berlin soll, so das Ergebnis des Volksentscheids vom 26. September 2021, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und etwa eine Viertelmillion Wohnungen aus den Portfolios großer Wohnungsunternehmen in Gemeineigentum überführt werden. Die Vergesellschaftung richtet sich hier gegen die Verwertung des Gemeinsamen. Privateigentum erlaubt es Unternehmen und Investoren weltweit nicht nur Boden und Wohnungen, sondern auch Wasser, Energie und Naturschätze in Kapitalanlagen zu transformieren. Ihren Wert beziehen diese aus sozialen Infrastrukturen, Kooperationsbeziehungen und ökologischen Prozessen. Die Investorenziehen also Wert aus dem Gemeinsamen. Und zugleich wird das Gemeinsame durch die Verwertung zerstört. Menschen, Kleinbetriebe, Kultureinrichtungen werden aus der Stadt verdrängt, nichtmenschliche Lebewesen und Ökosysteme werden zerstört. Soziale und ökologische Beziehungen fallen der Verwertung zum Opfer. Das geht so weit, dass heute die Bewohnbarkeit des Planeten infrage steht.

Die Aufhebung des Privateigentums ist nur der erste Schritt. Artikel 15 spricht von der Überführung in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung. Vergesellschaftung meint die Veränderung sowohl von Beziehungen als auch von Politik. An die Stelle der durch Privateigentum vermittelten Machtverhältnisse tritt demokratische Selbstverwaltung, an die Stelle von Verwertung tritt die Pflege des Gemeinsamen und solidarische Versorgung. Unzählige und vielfältige Commons auf der ganzen Welt zeigen, wie selbstbestimmte und ökologische Versorgungsbeziehungen organisiert werden können. Artikel 15 ist nicht nur ein Hebel für günstigere und bessere Versorgung. Gemeineigentum ist Teil des Kampfes gegen Faschismus und für die Bewohnbarkeit des Planeten.

Isabel Feichtner

Isabel Feichtner ist Professorin für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. In ihrem aktuellen Buch »Bodenschätze« befasst sie sich unter anderem mit Stadt- und Ozeanböden.

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