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Das Wirtschaftsmagazin

Wirtschaftsweiser: Die Nachfrageblindheit der Wirtschaftslobby ist ein Standortrisiko

In der aktuellen Reformdebatte blenden Wirtschaftslobby und ihr nahestehende Ökonomen und Medien die Nachfrageseite komplett aus.

4 Minuten Lesedauer

Collage: Surplus, Material: IMAGO/IPON

Heute richtet der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in Berlin den Tag der Metall- und Elektroindustrie aus. Sicher wird er ihn nutzen, um sich in Standortpessimismus zu üben und Politik und Öffentlichkeit mit den üblichen Forderungen nach tiefgreifenden und möglichst schmerzhaften »Strukturreformen« zu bedrängen. Die altbekannte Litanei ist zu erwarten: Ohne durchgreifende Deregulierung, Privatisierung, Schwächung von Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaften, Kürzungen bei öffentlicher Daseinsvorsorge und vor allem Sozialabbau sei der Standort verloren und es könne niemals einen nachhaltigen Aufschwung geben.

Wer öffentlich gegen die für alternativlos erklärte Lobbyagenda argumentiert, kann sich massiver Anfeindungen sicher sein. Das durfte zuletzt SPD-Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas erfahren. Als sie auf dem Arbeitgebertag des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände den üblichen Rentenkürzungsvorschlägen widersprach, wurde sie lauthals ausgelacht und hinterher in vielen Medien durch den Kakao gezogen. Das sollte sie und ihre Partei jedoch nicht davon abhalten, sich entschlossen gegen die radikalen neoliberalen »Strukturreform«-Forderungen zu stellen. Denn die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Wirtschaftslobby und ihnen nahestehender Ökonomen und Medien sind nicht nur aus politischen und sozialen Gründen problematisch, sondern stellen selbst eines der größten Risiken für den Wirtschaftsstandort dar. Sie blenden die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der stabilisierenden Rolle des (Sozial-)Staates zumeist komplett aus.

Expansive Finanzpolitik kann echtes Wachstum anstoßen

Der Beitrag der expansiven Finanzpolitik, die in den kommenden beiden Jahren massive nachfrageseitige Impulse setzt – und übrigens mit Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz sowie mit steuerlicher Unterstützung von privaten Investitionen und Forschung und Entwicklung gleichzeitig auch starke angebotspolitische Elemente enthält – wird systematisch ignoriert oder heruntergespielt. Obwohl bereits sehr viel für eine »Wirtschaftswende« auch im Sinne der Lobby und der sie unterstützenden Ökonomen eingeleitet wurde, wird bewusst der Eindruck erweckt, die eigentliche »Wirtschaftswende« mit den besagten »Strukturreformen« stehe noch aus.

So titelte jüngst die Gemeinschaftsdiagnose der Konjunkturforschungsinstitute, die zweimal im Jahr im Auftrag der Bundesregierung eine Konjunkturprognose erstellt: »Expansive Finanzpolitik kaschiert Wachstumsschwäche«. Damit wird suggeriert, der prognostizierte Aufschwung sei gar nicht »echt«, sondern lediglich künstlich durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben vorgetäuscht. Makroökonomisch ist das natürlich Unsinn, denn wenn die Staatsausgaben zu höherer effektiver Nachfrage führen, dann wird dies Produktion und Einkommen erhöhen, höhere private Investitionen und privaten Konsum nach sich ziehen und letztlich auf breiter Front in einen selbsttragenden Aufschwung münden. Wo dieser Aufschwung seinen Anfang nahm, wird nach einiger Zeit kaum noch auszumachen sein, und Unternehmen und Konsumenten wird das dann auch kaum noch interessieren.

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Achim Truger

Achim Truger ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen, »Wirtschaftsweiser« und schreibt die Kolumne »Eine Frage des Geldes« bei Surplus.

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