zum Inhalt
Das Wirtschaftsmagazin

Globaler Rechtsruck: Die faschistoide Seite des Neoliberalismus

Rechtspopulistische Parteien vertreten wirtschaftlich einen »faschistoiden Neoliberalismus«. Sie privatisieren die Macht.

8 Minuten Lesedauer
Die Zollpolitik Donald Trumps ist kein Widerspruch zum Neoliberalismus – sie bilden mit der rechten Politik eine Einheit. Credit: IMAGO/ZUMA Press Wire

Schluss mit freien Märkten und Schluss mit Migration: Aus den USA schallt es heftig mit unerhörten Zöllen, während rechte Parteien in Europa zum Widerstand gegen die EU, die sogenannten Eliten und deren angebliche Migrationsagenda aufrufen. Dieser radikale Ton der Rechten klingt für einige, als gebe es einen Bruch mit dem Neoliberalismus. Eine solche politische Einschätzung wird gerne begleitet von einer ökonomischen Analyse, der zufolge Wirtschaftskrise, Klimakatastrophe und drohende Kriege ein Ende des neoliberalen Wirtschaftsmodells erzwingen. Dieser Abgesang auf den Neoliberalismus – quasi im Unisono – fußt jedoch auf einer fundamental falschen Annahme.

Der Fehler liegt in der Idee, dass der Neoliberalismus ein Set von marktbasierten Politikmaßnahmen sei. Die vergangenen vier Jahrzehnte waren zwar geprägt von Freihandel und der Überführung von staatlichem in privates Eigentum, jedoch bilden diese Maßnahmen nicht die Essenz des Neoliberalismus.

Viel eher liegt dem eine neoliberale Logik zugrunde: die Privatisierung von Macht. Diese Logik bedeutet, dass staatliche – im besten Fall auch demokratisch bestimmte – Kompetenzen an den Privatsektor ausgelagert werden. Der Staat überlässt die Entscheidungen über Verteilung, Arbeit, und soziale Teilhabe zunehmend privaten Konzernen. Die klassisch neoliberalen Politikinstrumente prägten vor allem die Zeit seit den 1980er Jahren bis heute. Doch unsere heutigen Krisen bedeuten nicht das Ende der neoliberalen Logik – viel eher sehen wir ihre Anpassung und Wandlung zu einem faschistoiden Neoliberalismus.

Die Fackelträger dieser neuen Form des Neoliberalismus sind in Europa die radikal rechten Parteien: Der neue polnische Präsident Karol Nawrocki wird von der PiS gestützt, der für seine islamfeindlichen Kommentare bekannte Geert Wilders führte bis vor Kurzem die niederländische Regierung, und in den hohen Rängen der Regierungsparteien sowohl von Österreich als auch Italien bedienen sich hochrangige Vertreter extrem rechter Rhetorik und setzen eine Politik durch, die Minderheiten gefährdet. Zugleich haben radikal rechte Parteien in Finnland, Schweden und Kroatien eine Regierungsbeteiligung ergattert, während in Rumänien, Tschechien und Frankreich offen xenophobe Parteien mittlerweile den zweiten Platz in der politischen Arena streitig machen. Um die radikal rechte Politik aufzuhalten, müssen wir – im Namen der Demokratie – auch das neoliberale System abschütteln.

Neoliberalismus als Angriff auf die Demokratie

Im Kern ist der Neoliberalismus undemokratisch und antiegalitär. Übliche Definitionen verstehen den Neoliberalismus als Politik, die dem Individuum totale Freiheit und Verantwortung zukommen lässt – vor allem durch die Entfesselung von Marktkräften. Hiervon lässt sich die wohlbekannte Politik ableiten, die den Markt der freien (unsichtbaren) Hand überlassen soll: Abbau von Handelsbarrieren, Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und private Versorgung sozialer Wohlfahrt, sowie der Zugang zu Kinder- und Krankenpflege.

Dieses Verständnis von Neoliberalismus bleibt jedoch an der Oberfläche stecken. Auf einer tieferen Ebene geht es nämlich nicht um Freiheit und Verantwortung des Individuums, sondern um Macht und Kontrolle durch einige wenige Individuen. Anstatt dass die Besitzer von Kapital und deren Angestellte demokratisch formale Prozesse befolgen – vermittelt durch Gesetzgebung oder Gewerkschaften –, verteilt der Staat mehr und mehr Entscheidungsmacht zu den Eigentümern um. Hierdurch dominiert zunehmend Profitinteresse und Managerkontrolle über sozialen Ausgleich und Mitbestimmung. Das ist die Privatisierung von Macht.

Die Variabilität dieser neoliberalen Logik sehen wir im scheinbaren Widerspruch von Austerität und Industriepolitik. Diese werden in der Debatte um »mehr oder weniger Staat« oft als Widersprüche aufgefasst. Auf der einen Seite bedeutet Austerität – und das kennen wir in Europa besonders gut –, dass der Staat seine Unternehmen verkauft, Investitionen zurückfährt, und Dienstleistungen wie Kinder-, Alten- und Krankenpflege an private Unternehmen abtritt. Auf der anderen Seite bedeutet Industriepolitik, dass der Staat aktiv Investitionen vornimmt, Subventionen verteilt und Regulierungen implementiert, um beispielsweise die Produktion von Batterien, Elektrochips, und E-Autos anzustoßen.

Dass beide Politiken nicht widersprüchlich sind, sondern Gemeinsamkeiten unterliegen, erkennen wir erst, wenn wir die Machtverteilung in den Blick nehmen. Durch Austerität bekommen private Konzerne die Kontrolle über zuvor öffentliche Häfen, Zugnetzwerke und Krankenhäuser in die Hand. Gleichzeitig heißt Industriepolitik heute, dass kritische Infrastruktur wie Rechenzentren in Hessen von Google bereitgestellt wird und dass Teslas E-Auto-Fabrik in Brandenburg massiv öffentliche Ressourcen verbraucht. Die Zeit, in der die staatliche Seite strenge Bedingungen fordert, ist vorbei: Weder sind eine öffentliche Unternehmensbeteiligung, noch eine verpflichtende Mitfinanzierung der Konzerne für öffentliche Infrastruktur vorgesehen.

Ein noch offensichtlicherer Scheinkonflikt ist die Diskussion um Freihandel und Zölle. Zum Beispiel geht die Kritik, Trump würde mit seinen Zöllen die Privatwirtschaft einschränken, am Kern vorbei. Die gängige Sichtweise ist, dass sich der Staat mit Zöllen in einen sonst perfekten globalen Markt einmischt. Im Gegensatz zu den neoliberalen Idealvorstellungen von Marktverzerrungen in mathematisierten Modellen, hat der Abbau von Handelshemmnissen ganz andere realwirtschaftliche Effekte: Anstatt perfekter Konkurrenz entstehen globale Produktionsketten, die an einem europäischen Lead-Konzern hängen, der es durch seine Marktmacht schafft, die eigene Kontrolle über den Produktionsprozess – bezüglich Umwelt-, Arbeits-, und Versteuerungsstandards – auszubauen.

Entgegen der herkömmlichen Sichtweise schmälern Zölle diese Kontrolle nicht, sondern haben erstmal einen Verteilungseffekt. Mit Zöllen verschiebt der Staat die Kontrolle von internationalen zu national operierenden Konzernen. Gesamtwirtschaftlich bleibt die ökonomische Macht jedoch in privater Hand. In dieser Hinsicht brechen Zölle per se nicht mit dem neoliberalen System. Das ändert sich erst dann, wenn der Staat die private Kontrolle der Konzerne einschränkt. In einem weiterreichenden wirtschaftspolitischen Projekt könnten Zölle ein Instrument sein, um im Ganzen Löhne, Mitbestimmung und Infrastruktur zu stärken. 

Die neoliberale Ideologie: patriarchal, kolonial, und antidemokratisch

Die machtpolitischen Konsequenzen neoliberaler Politik sind kein ungewolltes Beiprodukt. Ganz im Gegenteil: Die Privatisierung von Macht ist in der neoliberalen Doktrin intendiert. Von F. A. von Hayek bis Walter Eucken haben die wichtigsten Exponenten des Neoliberalismus das individuelle Genie des Entrepreneurs über die Demokratie und soziale Gerechtigkeit gestellt. Wir dürfen also nicht glauben, dass es einerseits eine neoliberale Utopie von perfekter Marktkonkurrenz und Freiheit gibt und andererseits eine neoliberale Realität von Marktmacht und Unternehmenshierarchien. Der »Markt« ist in Theorie wie auch Praxis lediglich eine Chiffre für private – also undemokratische – Ausübung von Macht durch ökonomische Kontrolle.

Jetzt mit kostenloser Probewoche testen:

Zum Newsletter

Gibt’s schon einen Account? Login

Thabo Huntgeburth

Thabo Huntgeburth promoviert in Entwicklungsökonomie an der SOAS University of London. Er forscht zur politischen Ökonomie des Kapitalismus, zur Organisation von Arbeitsverhältnissen und zu alternativen Wirtschaftsformen.

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

Zum Magazin