Wir leben immer länger. Der Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung wird daher zunehmen. Bei weiterhin niedrigen Geburtenraten und stabiler Zuwanderung wird die Zahl der über 67-Jährigen in den nächsten zehn Jahren um circa 3 bis 4 Prozentpunkte auf 24 Prozent steigen. Nach 2035 wird sich der Trend verlangsamen und mit dem Ableben der Babyboomer wird der Altenanteil nur noch geringfügig zunehmen. Bei einer an die steigende Lebenserwartung gekoppelten Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 68 im Jahre 2050 und 69 im Jahre 2070 stabilisiert sich der Rentneranteil bei 23 Prozent. Uns steht also kein demographischer Kollaps bevor, sondern eine überschaubare Alterung der Gesellschaft.
Zurzeit vergeht allerdings kein Tag, an dem sich nicht Wirtschaftsweise, Topökonomen und Politpopulisten in Untergangsszenarien überbieten: Das Rentenniveau müsse weiter sinken, die Lebensarbeitszeit auf 70 steigen. Die Hinterbliebenenrente gehöre abgeschafft. Der Bundeszuschuss sollte gekürzt werden und Rentenanpassungen nicht der Lohnentwicklung, sondern der Inflationsrate folgen. Statt auf die solidarische soziale Sicherung zu vertrauen, müssten Menschen privat vorsorgen, als ob dies nicht auch aus den laufenden Einkommen finanziert werden müsste.
Sollen die Boomer ranklotzen?
Marcel Fratzscher, der Chef des DIW, wirft den Babyboomern pauschal vor, die Friedensdividende verfrühstückt und den Generationenvertrag gebrochen zu haben. Daher sei jetzt eine 10-prozentige Altensteuer und ein sozialer Zwangsdienst für Rentner geboten. Durch ihre geringe Kinderzahl seien sie schuld an der demographischen Krise und überhaupt überließen sie das Land der nachfolgenden Generation in einem beklagenswerten Zustand. Gemessen an den Verwüstungen durch zwei Weltkriege und dem moralischen Totalbankrott Deutschlands nach 1945 nimmt sich das Vergehen der Babyboomer-Generation, zu wenige Kinder in die Welt gesetzt zu haben, allerdings vergleichsweise bescheiden aus. Statt einer moralischen und realen Trümmerlandschaft vererben sie in den nächsten Jahrzehnten jährlich 400 Milliarden an die nachfolgende Generation – so viel, wie jährlich für die Rente ausgegeben wird. Nur sind Erbschaften eben sehr ungleich verteilt. Das Missverhältnis zwischen konzentriertem privatem Reichtum und öffentlicher Verschuldung zeigt, dass die Reichen in der Vergangenheit zu wenig zur Finanzierung des Gemeinwesens beigetragen haben. Die Friedensdividende wurde auch nicht verantwortungslos verfrühstückt, sondern finanzierte vor allem die Kosten der deutschen Einheit.
Der Vorschlag eines Altenarbeitsdienstes übersieht, dass 40 Prozent der Rentner und Rentnerinnen sich schon heute in Pflege, Kirchengemeinden und Vereinsleben ehrenamtlich engagieren. Von dem Aufwand, einen solchen Zwangsdienst zu organisieren und durchzusetzen abgesehen, gibt es zudem keine sachliche Begründung für einen solch extremen Eingriff in die Freiheit der Bürger.
Erbschaftssteuer für eine soziale Rente
Der Vorwurf, die Politik habe die Augen vor dem demographischen Wandel verschlossen und belaste einseitig die junge Generation, wird durch ständiges Wiederholen auch nicht richtiger. Die kontinuierliche Absenkung des Rentenniveaus von 59,8 (1979) auf 48,4 Prozent (2025) und die Erhöhung des Renteneintrittsalters trugen wesentlich zur Stabilisierung des Rentenversicherungsbeitrags bei. Durch Einführung substanzieller Abschläge wurde zudem der Trend zur Frühverrentung umgekehrt und das reale Renteneintrittsalter stieg in den letzten 25 Jahren um 2,4 Jahre und damit schneller als die Lebenserwartung. Sollen nicht zukünftig mehr und mehr Rentner auf Sozialhilfe (Grundsicherung) angewiesen sein, verbietet sich eine weitere Absenkung des Rentenniveaus. Das Sozialversicherungssystem verlöre seinen Sinn und seine Akzeptanz, wenn viele Rentnerinnen und Rentner trotz jahrzehntelanger Beitragszahlungen im Alter auf Sozialhilfe angewiesen wären.
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