Der Streit um die Rentenreform offenbart eine Krise des Regierens. Selbst bei einer Einigung werden sich die eigentlichen Probleme, nämlich Altersarmut und Prekarität, nicht entschärfen. Das seit Tagen anhaltende Spektakel in Berlin veranschaulicht prototypisch die derzeitige Unfähigkeit liberaler Gesellschaften, ihre selbst geschaffenen Probleme zu lösen.
Was ist passiert? Weil Deutschland älter wird, müssen Jahr für Jahr weniger Beitragszahlende der gesetzlichen Rentenversicherung für mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen. Für Letztere bleibt also weniger Geld, das Rentenniveau sinkt. Dagegen will die Regierung nun eine sogenannte Haltelinie beschließen, um das Niveau bis 2031 zu stabilisieren: Ein durchschnittlicher Rentner bekäme dann weiterhin 48 Prozent des Durchschnittsgehalts. Es geht also darum, das derzeitige System nicht kollabieren zu lassen.
Der Streit um die Rente eskaliert
Und schon hier beginnen die Probleme: Das Rentenniveau ist eine Rechengröße, die nur indirekt etwas über die Rente jedes Einzelnen aussagt. Sie ist das Verhältnis der sogenannten Standardrente zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten. Die Standardrente erhält man, wenn man 45 Jahre immer den aktuellen Durchschnittslohn verdient und darauf Rentenbeiträge gezahlt hat. Besonders aussagekräftig für die Altersarmut ist diese Durchschnittsgröße also nicht. Knapp ein Fünftel der Rentnerinnen und Rentner, genauer 19,4 Prozent, lebte 2024 in Armut oder unmittelbar an der Armutsgrenze. Man muss es einmal so deutlich sagen: Der Sozialstaat und sein Rentensystem produzieren derzeit Armut, und auch die aktuelle Reform wird daran nicht viel ändern.
Die Zahlen sprechen für sich: 42 Prozent aller Renten liegen unter 1000 Euro, im Durchschnitt bekamen Altersrentner laut Rentenversicherung im vergangenen Jahr eine Rente von 1.154 Euro monatlich. Männer erhielten 2024 durchschnittlich 1.405 Euro und Frauen 955 Euro. Nicht alle diese Menschen sind Sozialfälle, viele haben noch andere Einnahmequellen wie eine betriebliche Rentenversicherung. 27 Prozent geben jedoch laut Alterssicherungsbericht an, dass sie noch zusätzlich arbeiten, weil sie finanziell dazu gezwungen sind oder sich noch mehr leisten wollen. Besonders alleinstehende Rentnerinnen und Rentner im Osten sind von der gesetzlichen Rente abhängig und dadurch vulnerabel, weil sie kaum andere Einnahmequellen oder Vermögen haben.
Geht es nach der Jungen Union, sollen die Alten in Zukunft anscheinend auf keinen Fall mehr bekommen. Die jungen Abgeordneten stellen sich gegen den Reformvorschlag. Die aktuelle Reform belaste die »junge Generation«. Für die Haltelinie von 48 Prozent benötigt man Geld, das müssen aber nicht die Beitragszahler aufbringen, es würde über den Bundeshaushalt finanziert werden – allerdings nur bis 2031. Die Junge Union warnt vor den zusätzlichen Kosten – obwohl diese gerade einmal 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen werden – ein Betrag, der im Staatshaushalt kaum sichtbar wäre. Die gleichen Stimmen, die ohne Zögern 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr akzeptieren und Unternehmen 45 Milliarden Euro an Steuern erlassen, erheben plötzlich den moralischen Zeigefinger, sobald es darum geht, ältere Menschen vor dem sozialen Absturz zu bewahren.
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