Wir alle kennen die Bilder aus den USA: Menschen übernachten vor Kaufhäusern und stürmen sie, sobald die Türen morgens öffnen. Noch vor zehn Jahren waren diese Bilder den Deutschen zuwider, man hat die Amerikaner für verrückt gehalten, den Konsumrausch moralisch abgewertet – »Black Friday« war und blieb ein Symbol für die US-amerikanische Konsumgesellschaft. Heute türmen sich auch in Deutschland die Pakete, Postbotinnen erleben ihre wohl stressigsten Arbeitstage des Jahres. Treppe hoch, Treppe runter, hunderte Male. Noch bevor der Black Friday, in diesem Jahr am 28. November, offiziell gestartet ist, lockten Einzelhändler mit unschlagbaren Angeboten, in der »Black Week«, im »Black Month«, oder seit Neuestem auch am »Singles Day«.
Axel Augustin vom Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), der Druck, teilzunehmen, sei zu groß, »Rabatt ist wie eine Droge – für Händler und Kunden«. Auch heute raunt es durch die Medien, dieser schwarze Freitag, traditionell der Tag nach Thanksgiving und zugleich Start für das alljährliche Weihnachtsgeschäft, markiere nichts weiter als die Verwahrlosung des Individuums und seine Verstetigung zum Konsumopfer. Einer aktuellen YouGov-Umfrage zufolge wollen 29 Prozent der Befragten nicht beim Black Friday mitmachen, 39 Prozent davon begründen das mit einer Ablehnung des Konsum-Hypes. Dass die Reduzierungen übermäßig zum Kaufen anregen, mag zutreffen: Nicht geringe Teile unserer Kaufentscheidungen haben ihre Initialzündung in den Marketingabteilungen des Landes.
Gleichzeitig sinkt die Kaufkraft vieler Menschen in Deutschland seit Jahren: Ihre Reallöhne haben nach der massiven Inflation erst gerade wieder das Level von 2019 erreicht, Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen weniger und sparen mehr. Wieso, so die weitverbreitete Erzählung, soll der Black Friday dann der Tag im Jahr sein, an dem die Verbraucherinnen und Verbraucher plötzlich einem irrationalen Kaufrausch verfallen und über ihre Verhältnisse hinaus konsumieren? Die Erzählung könnte auch anders lauten.
Sind wir alle Konsumopfer?
Der Black Friday ist ein Tag, an dem millionenfach für das Leben nicht zwingend notwendige Waren gekauft werden – angeheizt von der Aussicht, ein Schnäppchen zu machen. Dass Konsumentinnen und Konsumenten zum Black Friday aber nur unnötigen Kram kaufen würden, entspricht nicht der Realität. In diesem Jahr planen Menschen mit geringem Einkommen besonders mit Angeboten, auch zum Black Friday. Das schreibt auch der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer Analyse: »In konjunkturell unsicheren Zeiten sind Einkommensschwächere besonders auf preisattraktive Angebote angewiesen.« Dass der Umfrage des Verbands zufolge in diesem Jahr vor allem diejenigen, die eigenen Angaben nach »gerade so über die Runden« kommen, überdurchschnittlich am Black Friday interessiert seien, weise »auf mehr Käufe zur notwendigen Versorgung« hin. Philipp Schneider vom Marktforschungs- und Analyseunternehmen YouGov analysiert: »Zwar greifen wohlhabendere Haushalte etwas häufiger zu, doch auch jeder Zweite mit begrenztem Budget nutzt die Rabatte – gerade für sie ist der Tag oft eine Möglichkeit, Geld zu sparen, besonders bei der Anschaffung von Weihnachtsgeschenken.« Auch Andreas Baetzgen, Experte für Werbung und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, sagte der dpa, dass viele Menschen bei »lang geplanten Anschaffungen gezielt auf den November« warten würden. Nicht wenige Menschen dürften zudem gar nicht erst am Black Friday teilnehmen, weil ihnen selbst für günstige Angebote das Geld nicht reicht.
Es überwiegen einer PwC-Umfrage zufolge die Käufe, für die man ein festes Budget festgelegt oder ohnehin geplant hatte: 32 Prozent gaben an, am Black Friday mit dem gleichen Budget mehr Weihnachtsgeschenke kaufen zu können, 27 Prozent, nicht mehr, sondern nur die geplanten, und 24 Prozent, nicht mehr, aber teurere. Lediglich 14 Prozent sagten, sie würden mehr Artikel kaufen und mehr ausgeben als geplant. Dass Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Jahr besonders zurückhaltend sind, bestätigt die Umfrage auch: Von denen, die in diesem Jahr weniger am Black Friday ausgeben wollen, begründen das 40 Prozent damit, dass sie weniger Geld zur Verfügung haben, und 46 Prozent damit, dass sie vorsichtiger mit ihren Ausgaben sind. Die vergangenen Jahre, die von steigenden Lebenshaltungskosten geprägt waren, haben ein Gefühl der Unsicherheit hinterlassen.
Konsum wiegt unterschiedlich schwer
Wer wenig verdient, konsumiert einen höheren Anteil seines Einkommens, um überhaupt Lebensnotwendiges zu haben. Wer besonders viel verdient, kann in absoluten Zahlen mehr konsumieren, auch mehr Luxuskonsum, verwendet darauf aber einen geringeren prozentualen Anteil seines Einkommens.
Während Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro im Jahr 2018 durchschnittlich 1.059 Euro im Monat für privaten Konsum ausgegeben haben, gab die oberste Einkommensgruppe in absoluten Zahlen mehr als viermal so viel aus, heißt es in einem Bericht vom Statistischen Bundesamt. Wer mehr als 5.000 Euro netto im Monat verdient, gab demnach 4.657 Euro davon monatlich aus. Die Ungleichheit zeigt sich vor allem an den notwendigen Dingen des Alltags: Die höchste Einkommensgruppe verwendete monatlich 2.126 Euro für Wohnen, Ernährung und Bekleidung – also 46 Prozent ihres Einkommens. Die unterste Einkommensgruppe gab dreimal weniger in diesem Bereich aus, verwendete darauf aber 65 Prozent ihrer Konsumausgaben (693 Euro).
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