Die Gewalt gegen Frauen in Deutschland steigt. Fast jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin oder seine Ex-Partnerin zu töten. Im Jahr 2024 wurden 308 Frauen Opfer von versuchtem Mord oder Totschlag, 132 starben, so der Lagebericht des Bundeskriminalamtes. Während die Zahl der begangenen Femizide in etwa stabil bleibt, stieg die sogenannte »partnerschaftliche Gewalt«, also Gewalt im Zusammenhang mit einer romantischen Paarbeziehung, im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent an. Frauen sind davon überproportional betroffen, 84,7 Prozent der Opfer von Partnerschaftstötungen sind Frauen. Dass patriarchale Gewalt auf dem Vormarsch ist, zeigt auch der starke Anstieg an Hasskriminalität gegen queere Personen.
Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind. Wenn es sich nicht um so absolute Tatbestände wie Mord handelt, werden viele Verbrechen nicht angezeigt oder konsequent von der Polizei verfolgt, die Dunkelziffer ist groß. Hinter der Gewalt stecken materielle, patriarchale Strukturen. Doch die Politik kratzt mit ihren Vorschlägen nur an der Oberfläche, während sie weiter den Sozialstaat abbaut.
Produktion und Reproduktion
Hinter sexistischer Gewalt stehen patriarchale Rollenbilder. Die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gebe, wobei das eine auf natürliche Weise über das andere dominieren sollte, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Männer sexistische Gewalt ausüben. Oft geht es dabei um Kontrolle und Macht. Die Tatsache, dass sich Gewalt gegen Frauen durch alle Gesellschaftsschichten zieht, weist darauf hin, dass es sich nicht um ein Randphänomen handelt, sondern dass die Gewalt etwas damit zu tun hat, wie die Gesellschaft strukturiert ist.
Feministische Theorien erklären die patriarchale Machtdynamik oft mit der Spaltung in die produktive Sphäre, also die Lohnarbeit, die dem Mann vorbehalten ist, und die reproduktive Sphäre, das »Häusliche«, die der Frau zugeschrieben wird. Aus dieser künstlichen Aufteilung speisen sich dann Machtunterschiede, Abhängigkeiten und Gewalt. Wie sehr die zugeschriebene Rolle im Haushalt mit körperlicher Gefährdung zusammenhängt, zeigt die erste umfassende Studie zu Femiziden in Deutschland, die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde. Sie zeigt eine wenig beachtete Dimension von Femiziden auf: Etwa 5 Prozent der analysierten Fälle waren sogenannte psychotisch bedingte Mutterfemizide. In diesem Fall kümmerten sich Mütter oder Großmütter um ihre psychisch labilen Kinder. Aufgrund gesellschaftlicher Zuschreibungen bleibt Sorgearbeit oft an Frauen hängen, was sie in einem solchen Fall besonders gefährdet.
Materielle Abhängigkeit
Materielle Abhängigkeit erschwert Frauen die Trennung von ihrem gewalttätigen Partner. Eine Meta-Studie zeigt eine negative Korrelation zwischen der ökonomischen Selbstbestimmung von Frauen und der Gewalt, die sie erleben. Auch eine Studie der Universität Flensburg zeigt, dass Armut ein wesentlicher Risikofaktor für Gewalt in Paarbeziehungen ist.
Angesichts der Ungleichheit in Deutschland könnte ein direkter Zusammenhang zwischen wachsender Armut und steigender Gewalt gegen Frauen vermutet werden, doch ganz so einheitlich ist die Datenlage nicht. So beschreibt die Meta-Studie, dass die Gewalt gegen Frauen zum Teil noch zunimmt, wenn sie finanziell unabhängiger von ihrem Partner werden. Aufgrund sexistischer Rollenbilder will letzterer den vermeintlichen Machtverlust nicht ertragen und übt noch mehr Gewalt aus.
Gewalt muss je nach Kontext bekämpft werden
Geld für Prävention und Unterstützung hilft, muss jedoch richtig eingesetzt werden. In medialen Bildern werden gern einschlägige kulturelle Bilder von Gewalt gegen Frauen bedient, die jedoch zum Teil unvollständig sind. In den Medien sieht man oft junge Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit als Opfer von Gewalt. So sind Frauen mit Behinderung besonders gefährdet, da ihnen etwa aufgrund ihrer Pflegesituation Handlungsspielräume fehlen und sie oft finanziell abhängig sind. Ähnliches gilt für Frauen auf der Flucht, die durch lange Aufenthalte in Camps mit unzureichender Privatsphäre besonders gefährdet sind. Zudem besteht die Gefahr, dass sie ausgebeutet oder zur Prostitution gezwungen werden. Es gibt Hinweise, dass sich viele geflohene Frauen aus der Ukraine in dieser Situation befinden. Auch Gewalt gegen trans-Frauen muss anders begegnet werden als Gewalt gegen cis-Frauen: Sie sind oft zusätzlich von queerfeindlicher Gewalt betroffen und werden teilweise in vermeintlichen Schutzräumen stigmatisiert.
Frauenhäuser ohne Finanzierung
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