Anke Rehlinger ist Ministerpräsidentin des Saarlandes und stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Im Interview spricht sie über die Strategien der SPD, die Zukunft der Stahlindustrie und verteidigt den härteren Kurs beim Bürgergeld.
Lukas Scholle: 2022 holten Sie im Saarland 43 Prozent, was Ihnen zu einer Einparteienregierung verhalf. Was machen Sie anders als die SPD im Bund?
Anke Rehlinger: Wir sind als Saar-SPD noch tief verwurzelt in der Gesellschaft im Saarland, in Vereinen, Betrieben und allen Berufsgruppen. Und wir haben den Anspruch, über die Themen zu sprechen und Lösungen zu erarbeiten, über die die Saarländerinnen und Saarländer abends am Esstisch sprechen. Das ist vor allem die Wirtschaft und wie wir Arbeitsplätze sichern und schaffen können. Wir konnten direkt zu Beginn der Legislaturperiode zeigen, dass die saarländische SPD-Landesregierung den Strukturwandel richtig ernst nimmt und handelt. Wir haben kurz nach Antritt unseren Transformationsfonds auf den Weg gebracht, ein Möglichmacher für zum Beispiel Unternehmensansiedlungen.
Dieser Fonds war das Vorbild für das historische Sondervermögen von 500 Milliarden Euro, das dann später im Bund beschlossen wurde. Kürzlich beschrieben Sie das als den politischen Höhepunkt Ihrer Bundesratspräsidentschaft.
Es war ein Erfolg für unser Land, dass wir es geschafft haben, in einer wirklich sensiblen Phase in Bundestag und Bundesrat diesen Mega-Impuls für Deutschland zu beschließen. Es gibt Mehrausgaben, die sind schlicht und ergreifend zu tätigen – zum einen für die Verteidigung, zum anderen für die viele Jahre unterlassenen Investitionen in die Infrastruktur, die dann aber eben auch der Wirtschaft helfen.
Was konnten Sie im Saarland mit dem Transformationsfonds umsetzen?
Im Saarland haben wir mit der Stahlindustrie eine der größten Transformationsaufgaben Europas – eine technologische Revolution, die die Arbeitsplätze von 13.000 Menschen für die Zukunft sichert und zugleich am Ende die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen des Saarlandes einspart. Jeder investierte Euro schützt Klima und Arbeitsplätze zugleich. Das ist sozial-ökologische Wende, wie sie immer theoretisch beschrieben wurde, in der Praxis! Wir machen das im Saarland. Wandel bedeutet aber auch, dass die ein oder andere Tür zugeht und man eine suchen muss, die an dieser Stelle aufgehen kann. Ford hat die wirklich unerfreuliche Entscheidung getroffen, am saarländischen Standort keine Autos mehr zu produzieren. Wir haben uns davon nicht entmutigen lassen. Und tatsächlich wird sich an diesem Standort ein mittelständisches Familienunternehmen aus dem Pharmabereich ansiedeln.
Und da ist noch mehr Platz für zukünftige Arbeitsplätze. Diese Ansiedlung des Unternehmens Vetter verbreitert auch die Wirtschaft im Saarland – nicht nur einzelne große Unternehmen, nicht nur Stahl, nicht nur Automobilindustrie, sondern eine Verstärkung eines auch bereits bestehenden Pharmaclusters. Ich scheue auch überhaupt nicht davor zurück, wirtschaftliche Chancen zu ergreifen, die im notwendigen Aufbau neuer Verteidigungsfähigkeit unseres Landes liegen. Wir haben schon jetzt etwa 2.000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie – Tendenz stark steigend. Allein der voraussichtliche Auftrag für den Transportpanzer Patria wird bei KNDS in Freisen für 500 zusätzliche Arbeitsplätze sorgen oder mehr. Wir haben exzellente Forschungseinrichtungen, etwa in den Bereichen Pharma, Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz. Auch hier investieren wir aus dem Transformationsfonds. Das ist, was Strukturwandel ausmacht. Wir müssen manches verändern, damit vieles so bleibt, wie wir es lieben.
Also gelingt im Saarland die grüne Transformation der Stahlindustrie?
Wir haben dankenswerterweise eine Situation, in der Unternehmen, Beschäftigte und die Landesregierung an einem Strang ziehen. Wir alle sind davon überzeugt, dass wir diesen Weg der Transformation gemeinsam gehen. Die Alternative wäre, dass die Stahlindustrie angesichts der steigenden CO₂-Preise sich ausrechnen kann, ab wann sie nicht mehr wettbewerbsfähig wäre. Es gibt die Zukunft nur durch Wandel, oder es gibt keine Stahlindustrie mehr in Deutschland. Letzteres ist für keinen der Beteiligten eine Alternative.
Dafür braucht es aber auch die Voraussetzungen, darum muss es jetzt gehen: Stichwort Wasserstoff, Stichwort Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen, auch in Form von flexiblen Gaskraftwerken, Stichwort grüne Leitmärkte. Wir haben aktuell die Investitionen relativ klar. Das ist für mich sehr erfreulich, aber das jeweils andere muss zwingend hinzutreten. Das ist spätestens nach dem nationalen Stahlgipfel die Aufgabe für Bundeswirtschaftsministerin Reiche!
