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Das Wirtschaftsmagazin

Der Kampf um die Familie

Während Fürsorge immer warenförmiger wird, wollen extreme Rechte zurück in die Vergangenheit.

5 Minuten Lesedauer
Credit: IMAGO / imagebroker

Der ideologische Kampf um die Familie ist im vollen Gange. Er kristallisiert sich in einer rechten Familienideologie, die queere und trans*-Leben angreift sowie Diversität bekämpft. Rechte verteidigen ein mystifiziertes Bild der weißen heteronormativen Familie. Sie wollen ihre Ideologie mit allen Mitteln als Leitbild durchsetzen. Diese Entwicklung resultiert aus dem neoliberalen Umbau der Wirtschaft – und auch aus Versäumnissen linker Bewegungen und Parteien.

Krise der sozialen Reproduktion

Ein weniger beleuchteter Zusammenhang besteht in der »Krise der sozialen Reproduktion« und dem Erfolg der rechten Familienideologie: dem rechten Familismus. Mit der neoliberalen Ausbreitung des Niedriglohnsektors in industrialisierten Ländern des Globalen Nordens und dem Erfolg des liberalen Feminismus ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Queers gestiegen. 1970 waren 30 Prozent der Frauen erwerbstätig, 2022 waren es schon 73 Prozent. Die Zeit für Haus- und Sorgearbeit ist jedoch nicht substanziell zurückgegangen. Das führt einerseits zu Doppelbelastungen für alle (meist Frauen), die Kinder und pflegebedürftige Angehörige und Beruf »vereinbaren« müssen, sowie zu einer besonderen Belastung von Alleinerziehenden. 

Auf der anderen Seite wurden Sorgearbeiten kommodifiziert, also zur Ware gemacht und meist an Migrantinnen ausgelagert. Das Ergebnis ist eine Zunahme von Stress, Arbeitsverdichtung und prekären Arbeitsverhältnissen im Care-Sektor, wie sie sich am drastischsten im Pflegenotstand zeigen. Dort gehen Fachkräftemangel (es fehlen mindestens 100.000 Fachkräfte in der Pflege) und die neoliberale Umgestaltung der Pflege zulasten der Qualität der Betreuung und der Arbeitsbedingungen. Aus diesen Entwicklungen resultiert die Krise der sozialen Reproduktion. Während feministische Theorien und Bewegungen (zum Beispiel das Netzwerk Care Revolution) auf dieses Problem hingewiesen haben, wurde das Thema Familie in linken Kontexten oft ausgeblendet – und dabei der Klassenfrage untergeordnet, oft auch, weil Familienpolitik als konservatives Politikfeld gilt. Diese Entwicklung ist jedoch fatal./image

Credit: IMAGO / imagebroker

Rechter Familismus als Antwort

Rechte Ideologien präsentieren derzeit eine »einfache« Lösung für diese Krise. Sie verweisen auf die Zeit des heteronormativen Ernährer-Hausfrau-Modells im Fordismus. Dieses Modell war kurz nach dem Wirtschaftsaufschwung der 1950er Jahre für viele Menschen in westlichen Industriestaaten Realität. Ein Lohn reichte dort für die ganze Familie und ein Eigenheim – zumindest für den privilegierten Teil der Bevölkerung. Die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit wurde darin von der Hausfrau verrichtet. Diese Familienverhältnisse waren jedoch oft von sexueller, psychischer und/oder ökonomischer Gewalt geprägt. Vergewaltigung in der Ehe wurde in Deutschland erst 1997 zu einer Straftat. 

Gleichzeitig stand für einen Teil der Bevölkerung mehr Zeit für Haus- und Sorgearbeit und damit für Beziehungen zu Kindern, alten und kranken Menschen zur Verfügung als heute – auch wenn diese kapitalistische Form der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung höchst problematisch ist. Denn Hausfrauen standen unter der Kontrolle ihrer Ehemänner und verfügten nicht über finanzielle Mittel, die ihnen ermöglicht hätten, ein selbstbestimmteres Leben zu führen oder eine gewalttätige Ehe zu beenden. All jene, die nicht in dieses Beziehungs- oder Geschlechtermodell passten, wurden marginalisiert, und für viele – oft migrantische – Menschen aus der arbeitenden Klasse blieb dieses Lebensmodell verwehrt, weil ein Lohn schon damals nicht zum Leben reichte. An dieses historische Bild schließen aktuell rechte Ideologien an, die die Versprechung einer nie ganz eingelösten und somit mystifizierten Vergangenheit wahr machen wollen.

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Friedericke Beier

Friederike Beier forscht am Otto-Suhr-Institut zu sozialer Reproduktion, Zeitpolitik und materialistischen und queerfeministischen Theorien. Sie ist Mitherausgebende der Zeitschrift femina politica.

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