»Die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft und deren Durchsetzung ist zentrales Anliegen unserer gesamten Regierungsarbeit.« So steht es in der Präambel des Koalitionsvertrags. Denn von echter Gleichstellung ist Deutschland weit entfernt. Nun kann man sich fragen, ob es Zufall ist, dass das Thema Familienpolitik im neuen Koalitionsvertrag erst auf Seite 98 zum ersten Mal erwähnt wird. Davor kommen viele Seiten, die sich mit Wirtschaftswachstum und Industrieförderung beschäftigen. Doch wenn wir keine Antwort auf die Frage finden, wie Care- und Erwerbsarbeit gerechter verteilt werden, um ein höheres Erwerbspotential vor allem von Müttern freizusetzen, wird die Geschlechterungerechtigkeit bleiben.
Wir leben in einer alternden Gesellschaft mit schrumpfendem Arbeitskräftepotenzial und enormen Herausforderungen für die sozialen Sicherungssysteme. Schwarz-Rot ist nicht die erste Regierung, die das erkannt hat – und den erklärten Willen zeigt, diese Lücke durch eine Steigerung des Frauenanteils auf dem Arbeitsmarkt zu füllen. Allein: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist seit Jahrzehnten eine Schwachstelle der deutschen Familienpolitik, trotz aller Fortschritte. Es sind immer noch Frauen, die die Hauptlast der Sorge- und damit unbezahlten Arbeit tragen, die Job und Familie jonglieren, meistens in Teilzeit, und dafür lebenslange Einkommenseinbußen und Karrierehindernisse hinnehmen müssen. In kaum einem anderen OECD-Land ist die sogenannte Mutterschaftsstrafe so hoch wie in Deutschland. So verlieren Frauen hierzulande im Durchschnitt rund 60 Prozent ihres Lebensarbeitseinkommens mit der Geburt des ersten Kindes. Bei drei oder mehr Kindern ist die Einbuße noch höher. Das muss sich ändern.
Sorgearbeit sollte im BIP auftauchen
Doch auch der aktuellen Regierung scheint es an politischem Willen zu fehlen, Care-Arbeit endlich als das zu sehen, was sie ist: Arbeit mit einem enormen volkswirtschaftlichen Nutzen – vom gesellschaftlichen ganz abgesehen. Wer jedoch immer noch in klassischen Wirtschaftskategorien denkt, versteht unter »Arbeit« nach wie vor fast ausschließlich Erwerb. Es wird eine Leistung erbracht, ein Produkt hergestellt; beides hat im Wortsinn seinen Preis beziehungsweise durch Lohn einen definierten Wert. Kein Preisschild hängt jedoch an den unzähligen Stunden, die Menschen für die Sorge für andere aufwenden, seien es Kinder, Alte oder Kranke.