Die Lebensmittelpreise sind zwischen Anfang 2022 und 2025 um rund 25 Prozent gestiegen. Daher wird seit Jahren über geeignete politische Maßnahmen zur Regulierung der Lebensmittelpreise debattiert. Eine der zentralen Forderungen in dieser Diskussion ist die Senkung oder sogar die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel.
In unserem Format »Debattenraum« treten zwei Personen mit gegensätzlichen Meinungen zu einer Fragestellung an. In diesem Fall lautet sie: Soll die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gestrichen werden, auch wenn keine gleichzeitigen Umverteilungsmechanismen eingeführt werden?
Pro von Maurice Höfgen:
»Keine Steuer belastet Menschen mit kleinen Einkommen so stark wie die Mehrwertsteuer.«
Wer wenig verdient, muss jeden verfügbaren Euro wieder ausgegeben, um den Alltag zu wuppen. Weil die Steuer jeden Einkauf verteuert, ob Brot, Kleidung oder Sprit, schmerzt sie die Reinigungskraft und den Kassierer besonders, während die Dax-Managerin und der Bundesligaprofi sie gar nicht wahrnehmen.
Sie zu senken, entlastet kleine Einkommen spürbar und lindert den Schmerz dort, wo er entsteht – ohne Umwege. Unbürokratisch und universalistisch. Das macht die Mehrwertsteuersenkung so populär. In Euro und Cent gerechnet spart eine Dax-Managerin beim Einkauf natürlich mehr als eine Reinigungskraft, weil sie mehr und teurere Produkte kauft. Aber im Verhältnis zum Einkommen ist die Ersparnis für die Reinigungskraft größer. Darauf kommt es an!
Natürlich kann eine Steuersenkung nie so zielgenau sein wie direkte Sozialtransfers. Transfers aber sind häufig bürokratisch, erniedrigend und unpopulär. Was ist unter einer CDU-Regierung realistischer: Ein höheres Bürgergeld oder eine niedrigere Mehrwertsteuer (zum Beispiel auf Lebensmittel)?
Die Wirkung ist außerdem erwiesen: Als die Mehrwertsteuer 2020 als Coronamaßnahme zeitweise gesenkt wurde, hat das ZEW Mannheim in einer Studie festgestellt, dass 86 Prozent der Steuersenkung an die Verbraucher weitergegeben wurde. Und das, obwohl die Mehrwertsteuer nur für ein halbes Jahr gesenkt wurde. Bei einer dauerhaften Senkung bei Grundnahrungsmitteln dürfte die Weitergabe noch besser funktionieren. Und selbst wenn nicht, wäre das kein Argument gegen die Senkung, sondern ein Auftrag für das Kartellamt. Offensichtlich funktioniert dann der Wettbewerb zwischen den Handelsriesen nicht!
Spanien hat vorgemacht, wie eine Streichung der Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln gegen die Inflation helfen kann. Zeit, dass Deutschland nachzieht. Lebensmittel sind heute rund ein Drittel teurer als 2020. Weniger Steuer auf Brot und Butter sind die einfachste und pragmatischste Gegenmaßnahme. Unabhängig von anderen Umverteilungsmaßnahmen!
Contra von Ulrich Schneider:
Verbrauchsteuern wie die Mehrwertsteuer sind immer unsoziale Steuern. Sie unterscheiden nicht zwischen Arm und Reich, halten für alle den gleichen Steuersatz vor und belasten damit Haushalte mit geringem Einkommen, die tatsächlich alles für ihren Lebensunterhalt ausgeben müssen vergleichsweise stärker als den Haushalt, der am Monatsende einen gehörigen Betrag auf die hohe Kante legen kann.Insofern wäre der Wegfall der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und ihr Ersatz durch eine Erhöhung der Steuersätze für unsere Top-Einkommensbezieher unter sozialen Gesichtspunkten nur vernünftig. Es wäre ein sinnvoller Umbau unseres Steuersystems. Wo es jedoch nicht um Umbau, sondern lediglich um die ersatzlose Streichung der Mehrwertsteuer zur Inflationsbekämpfung geht, kann ich vor einem solchen Schritt nur warnen.
»Es wäre wahrscheinlich rausgeschmissenes Geld ohne nennenswerten Effekt.«
Selbst wenn die Discounter den Steuervorteil an den Kunden weitergeben würden, wozu sie keiner zwingen kann, würde sich der teure schottische Wildlachs prozentual genauso verbilligen wie die Ölsardine. Wer sich mit Markenprodukten in bester Qualität ernähren kann, gern auch bio, und nicht auf den Cent schauen muss, würde deutlich stärker entlastet als der Haushalt, in dem es nur zu Billigprodukten und Sonderangeboten reicht. Für letzteren bleibt es bei Kleinstbeträgen, den berühmten wirkungslosen Tropfen auf dem heißen Stein.
Doch darf durchaus angezweifelt werden, dass die Steuerentlastung der Unternehmen überhaupt eins zu eins beim Verbraucher ankommt. An einen idealen freien Markt mit idealer Preiskonkurrenz zu glauben, fällt gerade bei den wenigen Lebensmitteldiscountern, die den Markt beherrschen, etwas schwer. Und selbst, wenn sie unter großem öffentlichen Druck die Preise auf Lebensmittel absenken, was sie 2020 während der temporären Mehrwertsteuerabsenkung in der Coronakrise immerhin weitgehend taten, ist überhaupt nicht nachvollziehbar, ob dieser Preisnachlass wirklich nachhaltig ist, oder ob die Preise bald schon wieder auf das alte Niveau anziehen.
Eines steht jedoch fest: So oder so ginge mit einer Streichung der Mehrwertsteuer auf Nahrung ein Finanzloch von deutlich über 10 Milliarden Euro einher, viel Geld, das sich sinnvoller ausgeben ließe.
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