Während für die Rüstung sämtliche fiskalischen Tore geöffnet werden, gilt der deutsche Sozialstaat inzwischen wieder als Sanierungsfall. Wie können die aktuellen und die noch zu erwartenden Defizite ausgeglichen werden? Das Unternehmerlager ist sich einig: durch Leistungskürzungen und »Eigen«vorsorge – also durch De-facto-Lohnsenkung. Dem schließt sich die Wirtschaftsweise Veronika Grimm an. Bemerkenswert dabei ist nicht das Außergewöhnliche an ihrer Argumentation, sondern das ganz Gewöhnliche.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat im Juli die Arbeit aufgenommen. Im Auftrag der schwarz-roten Koalition soll sie Vorschläge für eine Reform der Pflege erarbeiten. Ökonomin Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft, hat dieser Tage daher schon einmal die Richtung vorgegeben, in die gedacht werden soll: Leistungskürzungen. »Wir brauchen in der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung mehr Ehrlichkeit darüber, welche Leistungen wir uns wirklich leisten können und welche nicht«, sagte sie der Funke Mediengruppe. Die Ökonomin tritt hier als Botschafterin der Wahrheit auf, der man ins Auge sehen muss. Sie fordert nicht einfach Leistungskürzungen, sondern präsentiert Kürzungen als unabwendbare Notwendigkeit, der gegenüber »mehr Ehrlichkeit« vonnöten sei.
Angesichts der jüngsten Leistungszusagen der schwarz-roten Koalition, beispielsweise zum Rentenniveau, wirft Grimm der Regierung vor, sie mache »Versprechungen, die man am Ende nicht halten kann«. Das Problem dabei sieht sie weniger im Bruch der Versprechen, sondern in den Versprechen selbst. Denn sie würden die Leute dazu verleiten, zusätzliche private Vorsorge zu unterlassen, »obwohl viele es könnten«. Wer in der Lage sei, Pflegeleistungen selbst zu finanzieren, müsse dies laut Grimm auch tun.
Ansprüche an den Sozialstaat sind Rechte, und diese Rechte will die Wirtschaftsweise beschneiden – was private Vorsorge nötig machen würde. So drückt es Grimm aber nicht aus. Stattdessen wirft sie den Menschen vor, sich vor den Folgen dieser Entrechtung zu drücken. Denn sie würden Ausgaben vermeiden, zu denen die Wirtschaftsweise sie zwingen will, und sie ließen lieber die Gemeinschaft zahlen, obwohl sie doch »in der Lage« seien, privat vorzusorgen. Die Lücke in den Sozialkassen reißen in dieser Perspektive also jene, die nicht privat vorsorgen.
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